Vorschau: 8. Spieltag | Rot-Weiss Essen - SC Preussen Münster
Special Teil 2
"Cavete Münster!"
"Cavete Münster" (Hütet euch vor
Münster!) - das schrieb der Jurastudent Winfried
Weustenfeld in den fünfziger Jahren in einem
Artikel über seinen Studienort. Verschlafen,
provinziell, uninteressant, so empfand er die "Westfalenmetropole"
damals. Nicht eine ordentliche Kneipe konnte er ausfindig
machen.
Und heute? Die Stadt beherbergt rund 50.000 Studierende.
Unzählige Kneipen in der Altstadt, im Kuhviertel
oder am Hafen sorgen dafür, dass deren Kehlen
nicht trocken bleiben. Das berühmteste Etablissement:
Die "Cavete" in der Kreuzstraße, jene
"Akademische Bieranstalt", die mit offizieller
Unterstützung der Uni-Verwaltung kurz nach Weustenfelds
Artikel als damals erste Studentenkneipe der Stadt
eingerichtet wurde.
Das intensive Nachtleben mit Kneipen, Bars, Clubs,
Kinos und einer ausgesprochen aktiven Bandszene ist
die eine Seite Münsters. Die andere sieht man
besser am Tage: Wer über den Prinzipalmarkt mit
seinen altehrwürdigen Kaufmannshäusern und
der alles überragenden Sankt-Lamberti-Kirche
flaniert, atmet geschichtsträchtige Luft. Hier
hängen die Käfige, in denen man dereinst
die Leichen der Wiedertäufer van Leiden, Krechting
und Knipperdollinck den Vögeln zum Fraß
und den Menschen zur Warnung aufhängte. Hier
wurde 1648 der Westfälische Frieden geschlossen,
der den Dreißigjährigen Krieg beendete.
Hier wurde am Pfingstsonntag 2002 das berühmte
Richtschwert geklaut.
Häh? Was? Das Schwert?
Natürlich. Im Vorraum des Rathaus-Friedenssaals
war es ausgestellt, Jahre und Jahrzehnte lang, bis
zu jenem 19. Mai des Jahres 2002, als betrunkene Essener
Fußballfans es einfach stibitzten. Behauptete
damals jedenfalls die Rathaus-Aufsicht. Nun gut, eigentlich
behauptete sie nur, sie habe lärmende Menschen
in rot-weißer Gewandung im Raum bemerkt. Und
kurz darauf war das Schwert verschwunden. Dass zu
der Zeit, als das Fehlen des Richtinstruments bemerkt
wurde, wenige Kilometer entfernt der Ball zwischen
dem SC Preußen und RWE längst rollte, wird
in der Legende gerne ausgeblendet. Zumal das "Richtschwert"
ja dann auch als Angebot im RWE-Fanforum auftauchte.
Aber das ist eine völlig andere Geschichte...
Auch wenn man uns die Nummer mit dem Schwert nur schwer
zur Last legen kann, die Essener Fans zeigten sich
an diesem dramatischen Tag nicht wirklich von ihrer
besten Seite. Kurz vor Abpfiff des Spiels noch himmelhoch
jauchzend, weil der Aufstieg in die zweite Liga schon
festzustehen schien, dann das Entsetzen und die Wut,
als der Braunschweiger Piorunek gegen Wattenscheid
das Aufstiegstor schoss. Als Dank ließ ihn Braunschweig
später ziehen. Nach Münster.
Jedenfalls wurde das Preußenstadion, nicht so
schön wie der Prinzipalmarkt, aber mindestens
genau so alt, von der Essener Horde gestürmt
und fachgerecht in Einzelteile zerlegt. Eine Leistung,
für die man sich, trotz allem Verständnis
für die Verbitterung, immer noch schämen
muss. Das Verhältnis zwischen den beiden Clubs
und ihren Anhängern war auf dem Nullpunkt angekommen.
Dabei ist jenes der Preußen-Fans zu Rot-Weiss
Essen ohnehin von Wut geprägt. Genau so, wie
wir den Unaussprechlichen aus östlich von Katernberg
noch heute den Meineid vorhalten, durch den wir seitdem
gezwungen sind, in den Niederungen der unteren Ligen
zu versauern. Denn die Preußen, davon sind sie
fest überzeugt, wären, wenn alles fair zugegangen
wäre, an Stelle von RWE aufgestiegen, damals,
im Jahr 1993. Aber erstens geht es im Leben nicht
immer fair zu, und zweitens haben manche Vereine den
Papst zwar nicht in der Tasche, aber als Ehrenmitglied
im Register geführt, andere dafür das/den
Himmelreich als Präsidenten. Dass uns der "erschwindelte"
Aufstieg dennoch auf Dauer nichts gebracht hat, ist
nur ein schwacher Trost für die SCP-Anhänger.
Trotz aller Rivalität, irgendwie gleichen sich
Preußen und RWE sogar ein bisschen. Beide haben
eine aktive Fanszene (und wenn sich in Münster
mal wieder nur 4000 Männekess im Stadion versammeln,
ist das ein Beweis, dass man Studenten, woher sie
auch immer kommen mögen, nicht einfach von anderen
Farben auf Grün-Weiß-Schwarz umpolen kann),
beide haben kreative Gesänge (hier: der "Schreck
vom Niederrhein", dort der "Hund" mit
besonders lang gezogener "Cervelaaaaaaaatwurst")
eine lange Tradition und ein marodes Stadion, das
man lieber heute als morgen ersetzen möchte.
Dabei schlagen die Possen um das Preußenstadion
um Längen alles, was wir bislang in Essen in
Sachen Neubau erlebt haben. Erst sollte ein integriertes
Einkaufszentrum her, das wollte die Stadt-CDU nicht
(klar, die alten Kaufmannsfamilien aus der City mögen
keine Konkurrenz). Dann sollte ein toller Umbau ohne
Shopping her, das wollten die Anwohner nicht (denn
die mögen es samstags ab 14 Uhr lieber ruhig).
Dann wurden Jahre lang Alternativ-Standorte geprüft,
das wollten die Preußenfans nicht (sondern lieber
schnelle Entscheidungen). Schließlich präsentierte
ein Preußenfan ein eigenes Modell für eine
kleine, aber schicke Arena, und dazu gleich Machbarkeitsstudien,
wo man das Teil am besten hinsetzen könnte (das
wollte, ihr ahnt es, die Stadt nicht).
In dieser Saison scheinen die Preußen mit ihrem
neuen Trainer Colin Bell und dem holländischen
Torjäger Paul Weerman übrigens besser zu
sein als je zuvor in der Regionalliga. Also: "Cavete
Münster!"
(thm)
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