Spielbericht: 24. Spieltag | Rot-Weiss Essen - Wuppertaler
SV Borussia
Wo ist mein Baldrian? Zittersieg
im Derby gegen Wuppertal
In der Tristesse der Regionalliga freut man sich
schon auf kleine Highlights. Das Derby gegen Wuppertal
ist so ein Highlight. Einmal in einer Regionalligaspielzeit
machen sich etwa 1000 Talbewohner auf, um endlich
einen Auswärtssieg gegen die großen
Essener zu landen. Beim letzten Aufeinandertreffen
an der Hafenstrasse wurde der WSV mit 5:2 nach Hause
geschickt. Essen stieg auf, Wuppertal blieb in der
Regionalliga Nord. Für die Anhänger von
Rot-Weiss Essen, die möglichst schnell wieder
Zweitligafußball sehen möchten, ist der
Reiz dieses Derbys wohl geringer als bei den Anhänger
des Wuppertaler SV - oder besser Borussia Wuppertal
oder sogar Wuppertaler SV Borussia?
Genau um diese Frage ging es auf der letzten Jahreshauptversammlung
in Wuppertal am 16.02.06. Viele Fans und Mitglieder
empören sich immer noch über den Anschluss
des Stadtrivalen Borussia Wuppertal im Jahre 2004.
Man stelle sich als RWE-Fan vor, man würde mit
dem ETB Schwarz-Weiß Essen fusionieren. Bei
dem Gedanken dreht sich schon die leckere Bratwurst
im Magen um und das geliebte Pils verdampft in der
Kehle. Auf jeden Fall würde es an der Hafenstrasse
heftig kochen, die Proteste kaum abreißen. Doch
der Sturm der Entrüstung brachte in Wuppertal
nichts ein. Dem Antrag auf Rückbenennung wurde
nicht stattgegeben, das Spiel in Essen sollte daraufhin
von Fanprotesten begleitet werden.
Doch beim Betreten des Stadions merkte man nichts
von einer angeblichen Blocksperre, die genau 19:54
Minuten (Gründung des Wuppertaler SV 1954) gehen
sollte. Stattdessen waren die meisten Wuppertaler
schon 1 Stunde vor dem Spiel auf ihren Plätzen.
Protestgesänge wurden gegen Hasstiraden über
den RWE getauscht, welche man schon mindestens ein
Dutzend Mal gehört hat. Vielleicht ein Grund,
warum es auf Essener Seite ruhig blieb. Einen ganz
großen Auftritt hingegen hatte das Maskottchen
des Tages. Die fünfjährige Jana sang vor
12.000 Zuschauer den Essener Gassenhauer Opa
Luscheskowski so textsicher, dass Sarah Conner
vor Neid erblasst wäre. Ein klasse Auftritt,
der bei vielen Zuschauern für Gänsehaut
und Begeisterung sorgte. Im Anschluss an eine Schweigeminute
für den verstorbenen ehemaligen Ministerpräsidenten
von NRW und Bundespräsidenten, Johannes Rau,
gab Schiri Schriever die Partie frei.
Nach diesen Ereignissen zu Beginn durfte dann das
Spiel in den Mittelpunkt rücken. Und dieses begann
mit einer rot-weißen Drangphase. Schon in der
ersten Minute brachte Michael Bemben eine Flanke in
den Wuppertaler Strafraum, die aber knapp vor zwei
einschussbereiten Essener in der Wuppertaler Abwehr
hängen blieb. Neun Minuten später konnte
Holger Wehlage nur durch ein Foul knapp an der Strafraumgrenze
gestoppt werden, wofür der Wuppertaler Schaffrath
eine folgenschwere gelbe Karte erhielt. Den anschließenden
Freistoss von der rechten Seite durch Haeldermans
lenkte Wuppertals Torwart Maly mit den Fingerspitzen
zur Ecke.
Essen dominierte in der Anfangsphase eindeutig das
Geschehen. Wuppertal kam lediglich zu einer ernsthaften
Chance, als eine Flanke von der linken Seite an RWE-Torwart
Maczkowiak und zwei Wuppertaler Stürmern vorbeiflog.
Die Essener erarbeiteten sich durch Bemben eine weitere
Chance, nachdem er vom linken Strafraumeck abermals
Maly zu einer Parade zwingt. Ein Essener Treffer war
jetzt nur noch eine Frage der Zeit. In der 25. Minute
kam Wehlage nach einer Flanke von Kiskanc zum Schuss.
Nachdem der Ball abgefälscht wurde, standen gleich
zwei Spieler goldrichtig. Zum einen Arie van Lent,
der den Ball aber nicht richtig traf und zum anderen
sein Wuppertaler Gegenspieler, der den Schussversuch
unhaltbar in das Wuppertaler Gehäuse lenkte.
1-0 für RWE, die Hafenstrasse bebte zum ersten
Mal in diesem Spiel.
Vier Minuten später war es wiederum der bärenstarke
Wehlage, welcher auf der rechten Seite durchstartete
und mustergültig Ferhat Kiskanc in der Mitte
bediente. Dieser brauchte den Ball nur noch einzuschieben
und es stand urplötzlich 2-0. Danach schienen
die Wuppertaler am Boden zu sein. Die Abwehr erwischte
einen rabenschwarzen Tag, die verbalen Auseinandersetzungen
unter den Spielern häuften sich. So reagierte
der Wuppertaler Coach Fuchs schon in der 34. Minute
mit der ersten Auswechslung, die für mehr Stabilität
sorgen sollte. Bis zur Pause spielte weiter nur Essen,
obwohl die Wuppertaler mit einem Freistoss aus 30
Metern noch die beste Chance hatten.
Eine völlig demoralisierte Wuppertaler Mannschaft
ging vom Platz. Auch auf den Rängen hatte keiner
mehr das Gefühl, dass dieses Spiel noch mal gedreht
werden könnte. Jedoch rieben sich die RWE- Fans
verwundert die Augen, als die Wuppertaler nach Wiederanpfiff
immer mehr das Heft in die Hand nahmen. Die erste
Wuppertaler Chance erinnerte an den Beginn der ersten
Halbzeit, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Hier blieb
diesmal eine Wuppertaler Flanke von der rechten Seite
in der Essener Abwehr hängen. Zwar stellte der
RWE den Druck nicht völlig ein, dennoch kamen
die Wuppertaler immer gefährlicher vor das Essener
Tor. In der 59. Minute musste Maczkowiak direkt zweimal
klären. Nach einem Freistoss von Nils Pfingsten
in der 66. Minute hatte aber auch er das Nachsehen.
Haeldermans kam zu spät, der Ball schlug in der
kurzen linken Ecke ein.
Essen versuchte wieder mehr Druck aufzubauen. Nach
der gelb-roten Karte für Schaffrath schien es
so, als könnte die Partie wieder kippen. Eine
Signalwirkung für die Rot-Weißen? Mitnichten.
Denn auch in Unterzahl spielte weiter nur der WSV.
Plötzlich stand Dirk Heinzmann in der 78. Minute
frei vor dem Essener Schlussmann und köpfte nach
einer Flanke zum 2:2 Ausgleich ein, welcher zum diesem
Zeitpunkt nicht ganz unverdient war. Die mitgereisten
Wuppertaler Fans waren außer sich, unter der
Essener Anhängerschaft herrschte breites Entsetzen.
Wie konnte ein sicher geglaubter Sieg nur so verspielt
werden?
Das schienen sich auch die Spieler auf dem Platz zu
fragen. Während bei Essen alle Dämme zu
brechen drohten, spielten die Wuppertaler frei auf
und erarbeiteten sich eine Chance nach der anderen.
Doch ein Schuss aus unmöglicher Distanz durch
Mouhani, den der gute Wuppertaler Keeper Maly noch
zur Ecke klärte, weckte die Mannschaft des RWE
noch mal auf. Die Schlussminuten gehörten wieder
ganz dem Essener Team. Van Lent kam im Sechzehnmeterraum
frei zum Schuss, aber wieder war Maly zur Stelle und
lenkte den Ball zur Ecke. In der Schlussminute schoss
Michael Lorenz die Essener doch noch zum Sieg. Frei
im Strafraum schaffte er es, den Ball in das rechte
untere Eck zu schieben. Der Wahnsinn hatte einen Namen:
RWE! Unfassbar und überglücklich feierten
Mannschaft und Fans einen nicht mehr für möglich
gehaltenen Sieg, der durch die Punktverluste von Kiel
(0:1 gegen Münster) und St. Pauli (1:1 gegen
Düsseldorf) noch versüßt wurde.
Ein verdienter Sieg? Darüber lässt sich
streiten. Aufgrund des Einsatzes der Wuppertaler in
der 2. Halbzeit wäre ein Unentschieden nicht
unverdient gewesen. Doch durch die begeisternde erste
Halbzeit, die von den herausragenden Außenspielern
Wehlage und Kiskanc geprägt wurde, geht der elfte
Heimsieg in Folge (erstmals seit 1986/87) für
RWE schon in Ordnung. Allerdings dürfen Neuhaus´
Mannen im nächsten Spiel nicht denselben Fehler
machen und unnötig Druck aus dem Spiel nehmen.
Das kann gegen stärkere Teams leicht zum Verhängnis
werden.
So blieben gestern allerdings glücklicherweise
die Punkte nach einem nervenaufreibenden Spiel bei
dem Verein, der seinen stolzen Namen seit 1924 ohne
Fusionen, Übernahmen oder Eingliederungen trägt.
Aber Glück muss man sich ja auch erst einmal
erarbeiten.
(pd)
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Tore
1:0 Arie van Lent (23.) / 2:0 Ferhat Kiskanc (27.)
/ 2:1 Nils Pfingsten (66.) / 2:2 Dirk Heinzmann (78.)
/ 3:2 Michael Lorenz (90.)
Rot-Weiss Essen
Maczkowiak - Bemben, Thorwart, S. Lorenz, Nikol -
M. Lorenz - Wehlage (83. Boskovic), Gorschlüter
(57. Younga-Mouhani), Haeldermans, Kiskanc (66. Calik)
- van Lent
Wuppertaler SV Borussia
Maly - Ortlieb, Mehnert (75. Malura), Wiwerink, Schaffrath
- Pfingsten, Bayertz, Stuckmann, Jerat (30. Gensler)
- Siberie (67. Tavarez), Heinzmann
Gelbe Karten
Gorschlüter, Bemben, Wehlage (Essen) / Mehnert,
Heinzmann, Gensler (Wuppertal)
Gelb-rote Karten
Schaffrath (Wuppertal)
Schiedsrichter
Thorsten Schriever
Zuschauer
12.761
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