20.12.2005 - Frischer Wind aus Nord-Ost
Frischer Wind aus Nord-Ost
Wenn es in den letzten 20 Jahren bei Rot-Weiss
Essen eine Entscheidung gab, die nachhaltig die Essener
Fanszene verändern könnte, dann war es jene,
die Fangruppen strikter zu trennen. Grund dafür
waren entsprechende Lizenzauflagen des DFB. Pläne,
auf dem Gebiet der ehemaligen Westkurve eine neue
Tribüne zu installieren, wurden aufgrund eines
zu hohen finanziellen Aufwandes schnell verworfen.
Trotz des vehementen Widerstandes auf Seiten der Anhänger
kam es dann, aus deren Sicht, zum GAU.
Nach mehreren Jahren musste der aktivere
Teil der Supporter plötzlich das Feld räumen.
Die ehemaligen Stimmungsblöcke K
und I wurden nicht nur umbenannt und hießen
fortan Block G, auch der Besitzer wechselte. Jede
zweite Woche stehen nun dort, leider viel zu oft wenige
angereiste Gästefans und präsentieren ihre
Vereinsfarben und -lieder fröhlich (wobei sie
in dieser Saison an der Hafenstraße bis auf
eine Ausnahme nichts zu feiern hatten). Unglaublich,
überlegt man sich einmal das Szenario, dass auf
der Südtribüne in Dortmund plötzlich
blau-weiße Schalker stünden.
In Essen war diese Entscheidung aber technisch recht
einfach und mit minimalem finanziellen Aufwand umzusetzen.
Leider wurde auf die Wünsche der Fans keine Rücksicht
genommen. Zu sehr drängte der DFB mit seinem
Sicherheitskonzept, so dass andere Vorschläge
aus Sicht des Vereins zeitlich wie auch finanziell
utopisch wirkten.
Unmittelbar nach der Bekanntgabe, beinahe zeitgleich
mit dem Einsetzen der ersten Trennzäune, wurde
auf Seiten der Fans reagiert. Verschiedene Fanclubs
trafen sich zum Meinungsaustausch über die Zukunft
der Supportwilligen. Die Entscheidung
fiel für die Nordtribüne, die man nicht
so einfach verlassen mochte. Außerdem
entschieden sich die Anwesenden bei diesem Treffen
für Block M als zukünftigem "Stimmungsblock",
unter der Bedingung, dass die dort stehenden Personen
nicht verdrängt, sondern integriert würden.
Dass dieses kein Kinderspiel darstellte war allen
bewusst, schließlich trafen im neuen Areal Generationen
von Fans sowie unterschiedliche Ansichten über
die Definition eines Fans aufeinander.
Der Versuch misslang. Auch, weil nicht alle Fanclubs
mitzogen und schnell aufgaben. Der entscheidende Grund
für ein vorzeitiges Ende dieses Projektes zur
Rettung der Essener Fanszene auf der Nord-Tribüne
war aber die Nichtbewältigung des größten
Problems. Die 1:1-Adaption des ehemaligen Stimmungsblocks
K konnte nicht gelingen. Das gute Zusammenspiel
zwischen den Supportwilligen und den im
Dunstkreis befindlichen Fans war gestört.
Hinzu kamen maue sportliche Leistungen gegen Gegner,
die einfach nicht polarisierten und weniger attraktiv
waren als die des Vorjahres. Und erschienen Gegner
wie der VfL Osnabrück oder Preußen Münster
mit einigen hundert mitgereisten Fans, hörte
und, vor allen Dingen, sah man nichts von ihnen. Neben
der mangelhaften Akustik (wie sollte es auch anders
sein, wenn gegnerische Gruppen in die gleiche Richtung
brüllen) fehlte auch das optische Element. Dieses
Problem war bereits in der Versammlung der verschiedenen
Fangruppen besprochen worden, allerdings hinten angestellt
worden.
In der Summe entwickelten sich die negativen Aspekte
des Wechsels in den Block M in der Praxis zum Stimmungsflop.
Die Unzufriedenheit der Anhänger mit dem Spiel
auf dem Platz, aber auch mit sich selbst und der aufgezwungenen
Neuorientierung, erkannten selbst Spieler und Betreuer,
die immer wieder um mehr Ruhe und Zuversicht baten.
Kaum verwunderlich, dass Fanclubs der Nordtribüne
erstmalig den Rücken kehrten und auf die ehemalige
Gästetribüne wechselten, unter dem Motto:
es hat auch schon gegenüber funktioniert.
Besucher der Haupttribüne bescheinigten, dass
diese noch sehr kleine Gruppe sehr gut wahrgenommen
wurde. Das Vorurteil und die daraus resultierende
These, dass von der Ost aus keine akustische Macht
ausgeübt werden könnte, bestätigten
sich also nicht. Wenn schon 50 Personen gehört
werden konnten, was würde passieren, wenn viele
weitere den Schritt auf die Ost auch täten? Die
Frage wurde im Heimspiel gegen die Zweitvertretung
des 1.FC Köln teilweise beantwortet. Der größte
Essener Fanclub entschied sich in einer erneuten Abstimmung
für den Wechsel und somit für einen weiteren
Neuanfang.
Bemerkenswert, dass in dieser Situation mehrere Personen
ihre persönliche Abneigung gegen die Osttribüne
dem Kollektiv unterordneten und ohne Murren mitzogen.
Genau diese Einstellung ist entscheidend, um Fangruppen
anzunähern und den Neuanfang dieses Mal gelingen
zu lassen.
Dass dieser Schritt nicht einfach ist, ist kein Geheimnis.
Auch auf der Nordtribüne gibt es viele, die zum
Support bereit sind. Das Zusammenspiel zwischen beiden
Tribünen und der Haupttribüne will geprobt
werden. Wichtig ist, dass es neben der räumlichen
Spaltung nicht zur Spaltung der gesamten Fanszene
kommt. Denn dieses wäre fatal. Eine gut
funktionierende Osttribüne, die Spaß
macht bringt nichts ohne eine Nordtribüne,
die mitzieht und genauso den Ton vorgibt.
Schön wäre es, wenn am Ende der Saison nicht
nur 19 neue Spieler das Resümee ziehen, es miteinander
geschafft zu haben, sondern auch die Fans das Ziel
erreichen. Und dieses lautet: Lautstark in die Bundesliga
2.
(tp)
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