10.05.2008: 1. Bundesliga | MSV Duisburg - Bayern
München 2:3 (0:3)
Nur zum Feiern hier ...
Vor
knapp einem Jahr stieg RW Essen am letzten Spieltag
der 2. Bundesliga im MSV-Stadion ab. Der MSV dagegen
feierte mit dem 3:0 Sieg den Aufstieg in die Belle
Étage des deutschen Fußballs. Emotionen,
wie sie gegensätzlicher nicht sein können.
Nur 51 Wochen nach diesem rabenschwarzen Tag gab es
am vorletzten Spieltag der Bundesliga abermals ein
Gefühlschaos. Der MSV, noch um den Klassenerhalt
ringend, traf auf den neuen deutschen Meister aus
München.
"Und wir sind nur zum Feiern hier", tönt
aus dem Bus, der uns zur MSV-Arena bringt. Die vielen
angereisten Fans des FC Bayern München haben
sich zum Schaulaufen gegen die Zebras eingefunden.
Mit zahlreichen Deutscher Meister 2007/08-Devotionalien
behangen demonstrieren sie Stärke und die unangefochtene
Hegemonie ihres Vereins. "Und schon wieder deutscher
Meister und schon wieder deutscher Meister FCB".
Die Anhänger des MSV sind dagegen zu angespannt,
zu nervös, um was passendes zu entgegnen. Für
ihren Verein geht es heute um alles oder nichts.
In der mit 31.500 Zuschauern restlos ausverkauften
MSV-Arena stehen sich eine blau-weiße und rot-weiße
Front gegenüber. Die Meidricher haben das Stadion
jedoch in ihrer Stimmgewalt. Beim "Wir sind Zebras"
hält es kaum einen Duisburger auf seinem Platz.
Sie strecken ihre Schals in die Höhe und bejubeln
frenetisch ihre Spieler. Zuversicht und Optimismus
bestimmten noch das weite Rund. Schließlich
fehlen mit Ribery und Toni - wegen wohl sehr kurzfristig
aufgetretener Muskelprobleme - sowie Klose, Lucio
und Ze Roberto, die Eckpfeiler der bajuvarischen Spielkunst.
Dann folgt ein Schauspiel, das in der Liga wohl seines
gleichen sucht: Gehen die Glückwünsche an
den neuen deutschen Meister aufgrund sportlicher Fairness
und die Blumengeschenke an Hitzfeld und den kommenden
Fußball-Rentner Oliver Kahn noch völlig
in Ordnung, wird die blau-weiße Fanseele danach
aber arg strapaziert.
MSV-Präsident Walter Hellmich überreicht
dem Manager der Bayern ein in rot-weiß angestrichenes
Zebra, DAS Symbol des Vereins, auf dem dick das Logo
des FC Bayern und ein entsprechender Glückwunschvers
prangt. Hellmich erntet für seine anbiedernde
und gleichzeitig verräterische Geste gellende
Pfiffe aus der Kurve. Der Duisburger Mäzen dürfte
seine schwindende Fanbasis nicht gerade vermehrt haben.
Uli Hoeneß bedankt sich artig, seine Worte verschwimmen
in einem diffusen Meer aus Pfiffen und Buh-Rufen.
Woran
darf der MSV Fan eigentlich noch glauben, wenn die
Mannschaft dabei ist, den Klassenerhalt zu verspielen
und der Verein sich derartig selbst verkauft? Einzig
Torhüter Tom Starke sowie ein Markus Daun oder
Ivica Grlic, der vor dem Spiel zum Spieler der Saison
gekürt wird, scheinen noch ein wenig Rückhalt
zu genießen. Bei Verkündung der Aufstellung
gibt es Pfiffe für einzelne Spieler. Für
eine erste Ernüchterung sorgt im MSV-Block die
Nachricht vom Ausfall Ishiakus, der mit Knöchelproblemen
passen muss. Dennoch ist man zuversichtlich, es irgendwie
doch noch schaffen zu können. Der Einlauf der
Mannschaften wird erwartungsfroh bejubelt.
Schon nach drei Minuten erstickt Andreas Ottl jegliche
Hoffnung im Keim. Sein strammer Rechtsschuss schlägt
unhaltbar ein. Die noch unsortierten Duisburger müssen
umdenken. Sie sind noch gar nicht richtig im Spiel,
da rappelt es schon zum zweiten Mal. Lukas Podolski
köpft völlig freistehend zum 0:2 ein. Es
sind gerade mal 18 Minuten gespielt, es bahnt sich
ein Debakel an.
Die Duisburger Abwehr einen Hühnerhaufen zu nennen,
wäre schmeichelhaft. Keine Zuordnung, ein desolates
Zweikampfverhalten; die B-Elf des deutschen Meisters
lässt solch dicke Patzer nicht ungestraft, schließlich
hatte man vor dem Spiel verkündet, dem FC Nürnberg
Schützenhilfe leisten zu wollen. "Lieber
Duisburg als der FCN", schallt es aus der Münchener
Fankurve. Kaum hat man den zweiten Treffer verdaut,
klingelt es zum dritten Mal. Und wieder ist es Podolski,
der sich für die kommende Spielzeit empfiehlt.
Sosas Schuss kann Starke nur vor die Füße
des Stürmers abklatschen. Poldi darf sich für
die EM warmschießen.
Die Stimmung kippt. Auch der MSV Block beginnt nun
die Ballkontakte der Münchener zu bejubeln. Keine
Verneigung vor der Münchener Spielkunst, vielmehr
Ausdruck grenzenloser Resignation. "Wir sind
Duisburger und ihr nicht." Von den Duisburgern
ist wenig zu sehen. Kaum Kampf, kaum Einsatz. Die
Mannschaft scheint schon nach 20 Minuten jeglichen
Willen und Glauben verloren zu haben. Einzelne Offensivaktionen
verpuffen an der sicher stehenden Defensive und enden
allerspätestens mit einem schlaffen Schüsschen,
die Oliver Kahn in seinem letzten Auswärtsspiel
mühelos entschärfen kann.
Die vermeintliche Bayern B-Elf dominiert das Geschehen
nach Belieben. Die Duisburger stehen viel zu weit
weg von ihren Gegenspielern, lassen den neuen deutschen
Meister Raum zur Entfaltung und haben nicht den Hauch
einer Chance. Die Bayern ziehen sich nach dem dritten
Tor in zwanzig Minuten zurück, verlegen sich
aufs Kontern, doch den Hausherren fehlen die Ideen,
um sich gegen tiefstehende Bayern überhaupt auch
nur eine Chance zu erspielen. Im Stadion beginnt das
große Rechnen. Jetzt ist man auf die Ergebnisse
der Konkurrenz angewiesen. Wer glaubt noch daran,
dass diese Mannschaft den deutschen Meister vier Tore
einschenken wird?
In
der Halbzeitpause verkündet der Stadionsprecher,
dass auf Wunsch der sportlichen Leitung auf die Bekanntgabe
der Ergebnisse aus Bielefeld, Rostock und Cottbus
verzichtet werden würde. Wieder ertönen
Pfiffe, eine unverständliche Verfahrensweise.
Im Zeitalter der Handys dürfte ohnehin jeder
im Rund gewusst haben, dass die Bielefelder zu diesem
Zeitpunkt 2:1 in Front lagen und der MSV damit abgestiegen
wäre. Kurz vor Wiederanpfiff gibt es dann die
Nachricht, man könne nun doch die Ergebnisse
verkünden. Die Anzeigentafel leuchtet auf und
das 2:1 wird mit einem Raunen zur Kenntnis genommen.
Als Oliver Kahn auf die MSV-Fankurve zuläuft,
erhält er freundlichen Applaus und Sprechchöre
statt Bananen und Urwaldlauten. Ein Ausdruck des allgegenwärtigen
Respekts und der Anerkennung, die sich der Titan-Torhüter
redlich verdient hat.
Die MSV Fans haben Zeit, den Torhüter der Bayern
gebührend zu feiern, der Abstieg scheint unvermeidlich.
Doch nur drei Minuten nach Wiederanpfiff gibt Mihai
Tararache der Hoffnung neue Nahrung. Er wird im Mittelfeld
nicht angegriffen, schießt aus der Distanz,
und Oliver Kahn muss seinen neunzehnten Gegentreffer
in der laufenden Saison hinnehmen. Wieder kippt die
Stimmung. Nun wird die Mannschaft angefeuert, es wird
gesungen und gefeiert, als ob der MSV gerade den Klassenerhalt
perfekt gemacht hätte. Plötzlich wacht auch
die Mannschaft auf, stürmt auf des Gegners Tor
ein.
Dann hat der MSV auch noch das nötige Glück.
Der nach Aachen wechselnde Markus Daun zieht aus halbrechter
Position ab, sein Ball springt von Mark van Bommel
zurück an sein Knie und macht einen Bogen über
Kahn hinweg in das Bayerngehäuse. Nur noch 2:3.
Die Menge steht Kopf. Vielleicht geht doch noch was.
Doch die Bayern lassen sich das Heft nicht mehr aus
der Hand nehmen. Hitzfeld wechselt das Juwel Toni
Kroos ein, und dieser zeigt eindrucksvoll, warum die
Bayern ihn für ein Riesentalent halten. Er spielt
als klassischer 10er direkt hinter den Spitzen und
verteilt die Bälle nach Belieben. Eine Torschussvorlage
jagt die nächste. Der Meister schaltet sofort
einen Gang höher und kommt zu Großchancen
durch Podolski und Sosa, der den Ball vor dem Tor
freistehend in den blauen Duisburger Himmel drischt.
Die Duisburger Offensivbemühungen verebben unverständlicherweise
erneut. Hektik kommt erst wieder auf, als urplötzlich
auf der Duisburger Anzeigentafel das Zwischenergebnis
aus Bielefeld verkündet wird. 2:3 für Dortmund
steht dort in großen Lettern. Duisburg wäre
selbst bei
einer Niederlage heute noch mit Chancen. Jubel kommt
auf, wir schreiben die 89. Minute und es darf weiter
gehofft werden.
Doch dieses Ergebnis erweist sich als "bedauerlicher
Fehler", wie hinterher bekannt wird. Oder war
es vielmehr ein verzweifelter letzter Versuch, nochmal
etwas aus der Mannschaft herauszukitzeln? Doch die
Duisburger sind in ihren spielerischen Möglichkeiten
zu limitiert, um noch einmal etwas am Ergebnis zu
verändern. Das Spiel in Bielefeld endet tatsächlich
nur 2:2, Duisburg ist auch rechnerisch abgestiegen.
Eine Information, die nicht zu jedem vordringt. Nach
dem Abpfiff haben viele den Abstieg noch gar nicht
zur Kenntnis genommen. "Wir können es nächste
Woche noch packen." Auch Markus Daun tritt an
die Zäune, versucht die aufgebrachten Fans zu
beruhigen. Er weiß noch nichts vom Abstieg.
Ein fataler Fehler der Verantwortlichen
Abzusteigen schmerzt unendlich, das weiß man
an der Hafenstraße nur zu gut. Der MSV Duisburg
findet sich, nach nur einem Jahr in der Bundesliga,
im Unterhaus wieder. Schadenfreude ist da nicht angebracht,
der Verein aus der Nachbarschaft präsentiert
sich vielmehr als zerstritten und innerlich zerrissen.
Auf und neben dem Platz.
Die Duisburger nehmen den Abstieg völlig unterschiedlich
auf. Herrschte bei uns im letzten Jahr Tristesse,
Wut und unendliche Traurigkeit, finden sich nur ein
paar Anhänger auf den Stehplätzen wieder,
die bittere Tränen vergießen. Der Rest
nimmt den erneuten Absturz in die 2. Liga mit Schulterzucken
hin und erfreut sich am schönen Wetter. "Was
soll's? Die 2. Liga ist auch nicht schlecht."
Ein Satz, den man noch öfter an diesem Tag zu
hören bekommt.
Auf der Rückfahrt im Bus streitet man. Um den
angeblich untauglichen Trainer, den allmächtigen
Hellmich, "der sowieso weg muss", "pah,
wo wären wir denn ohne Hellmich". Sätze,
die einem irgendwie bekannt vorkommen. Abstieg ist
doch irgendwie überall gleich und hinterlässt
die schlimmste Wunde, die sich die Fanseele zuziehen
kann.
(sb)
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