23.03.2008: Primera Division | Real Madrid: FC Valencia
2:3 (1:1)
Wir haben Herzen aus Granit, so wie einst Real
Madrid!
Dieser auch an Essens Hafenstraße immer mal
wieder angestimmte Evergreen ist eine von ganz wenigen
Verbindungen, die ein krisengeschüttelter Noch-Drittligist
wie RWE und Spaniens mythenumworbener Hauptstadtclub,
der Trophäen internationalen Ranges noch und
nöcher absahnte, besitzen.
Während eines österlichen Urlaub-Tripps
nach Kastilien gab es am Samstag zunächst mal
die wie gewohnt ernüchternde Nachricht von der
rot-weissen Schlappe gegen Babelsberg, die das Schreckgespenst
Vierte Liga immer realistischer erscheinen lässt.
Zur Entschädigung dafür winkte dann am Ostersonntag
die Stippvisite in einer der berühmtesten Spielstätten
Europas, dem Estadio Santiago Bernabeu, Heimstatt
der Königlichen von Real Madrid.
Die aufgrund der Ansammlung internationaler Superstars
in den berühmten weißen Trikots auch schon
die Galaktischen genannten Madridistas, wie der spanische
Hauptstädter zu sagen pflegt, sind die vielleicht
sogar weltweit renommierteste Truppe von Balltretern.
Entsprechend hoch sind die Ansprüche der Anhänger,
entsprechend hoch auch die Eintrittspreise in den
Fußball-Tempel Santiago Bernabeu, dessen Name
auf den Real-Präsidenten mit der längsten
Amtszeit der Vereinsgeschichte zurückgeht. Ganze
35 Jahre lang, von 1943 bis 1978, lenkte dieser den
Verein. In diese Phase fiel die Grundsteinlegung zum
1947 fertig gestellten Stadionbau und eine bis heute
und wohl auch auf Ewigkeit nicht erreichbare Bestmarke
von fünf aufeinanderfolgenden Triumphen im Europapokal
der Landesmeister, Vorläufer der Champions League.
Von seiner ersten Austragung in der Saison 1955/56
an, deutscher Vertreter übrigens ein gewisses
RWE, womit die zweite und auch vorletzte Verbindung
der beiden Klubs aufgezeigt wurde, bis zur fünften
Auflage in der Spielzeit 1959/60 hieß der Sieger
des Wettbewerbs ausnahmslos Real Madrid. Bis heute
sind weitere vier europäische Landesmeister bzw.
CL-Titel hinzu gekommen, dazu auch Siege im Uefa-Cup,
insgesamt stehen 30 nationale Meisterschaften, spanischer
Landesrekord, und 17 Triumphe in der Copa del Rey,
dem spanischen Pokalwettbewerb, zu Buche.
Da wird einem schnell klar, dass man sich hier im
Mekka des europäischen Fußballs befindet,
wenn man die Metro-Station, welche den Namen des Stadions
trägt, verlässt und an der Straßenkreuzung
zwischen der Calle Padre Damian und der Avenida Concha
Espina entlang flaniert und das berühmte Stadion
entdeckt. Der spanische Fußballfan, auch das
wird schnell klar, hat noch immer eine Vorliebe für
Fanfaren aller Art, so dass der Stadionvorplatz in
ein ohrenbetäubendes Spektakel gehüllt wird.
Diese in Deutschland fast ausgestorbene Sitte weckt
Erinnerungen an die 80er Jahre. Das Stadion hat von
außen wenig gemein mit den futuristischen Neubauten
der Fußballmoderne, dass es seit gut 60 Jahren
hier steht, ist dem uncharmant wirkenden Betonklotz
zumindest von Außen anzumerken.
Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht klar, ob es an
diesem Abend überhaupt eine Begegnung mit dem
Stadioninneren geben wird, denn die aus insgesamt
vier Fußballanhängern bestehende Reisegruppe
ist ohne Eintrittskarte angereist. Eine finanzielle
Schmerzgrenze von 50 € sollte jedenfalls für
den Ticketerwerb nicht überschritten werden,
eine erste positive Nachricht dazu gibt uns ein Ordner,
der mitteilt, dass auch noch Karten an den Stadionkassen
erworben werden können, so dass keine Notwendigkeit
besteht, den Schwarzmarkt mit seinen furchterregenden
Preisen aufsuchen zu müssen. Der Gegner Valencia
ist in dieser Spielzeit halt nur potenziell eine Spitzenmannschaft,
vor dieser Partie befindet sich der sonst regelmäßig
auf den CL-Quali-Plätzen angesiedelte Club lediglich
auf Platz 11 der Primera Division.
Doch schon der erste Anlauf aufs Kassenhäuschen
sorgt für Ernüchterung, der gemütliche
Herr mit dem schwarzen und weit geschwungenen Schnurrbart
teilt trocken aus der Hüfte geschossen mit, dass
das wohlgemerkt billigste Ticket für schlappe
95 € zu haben sei. Für eine Karte, keineswegs
für vier! Anlauf Nummer 2 auf die nächste
Verkaufsstelle bringt Hoffnung, hier stehen "lediglich"
65 € im Raum, wie uns die resolute Dame im dunkelblauen
Sweater mit dem harten spanischen Akzent in der Stimme
auf Englisch mitteilt. Obwohl wir uns im offiziellen
Kartenverkauf bewegen, scheint hier Einiges dem Zufall
überlassen, ganz so, als sei man doch auf dem
Schwarzmarkt unterwegs. Getreu dem Motto, aller guten
Dinge sind drei, stellen wir dann doch noch eine Regelmäßigkeit
fest. Am nächsten Schalter sind es weitere 25
€ weniger, so dass der Kartenpreis nun 40 €
beträgt. Mit dem Eindruck, unser Glück genug
strapaziert zu haben, erteilen wir dem Verkäufer,
einem studentenhaft wirkenden Mann Mitte Zwanzig,
den Zuschlag. Hossa, das Abenteuer Bernabeu kann beginnen!
Leibesvisitationen wie in deutschen Stadion kennt
der spanische Fußball nicht, wie nicht nur der
erst kürzlich erfolgte Wasserflaschenwurf während
eines Ligaspiels zeigte. Denn lediglich die elektronischen
Sperren muss man unter Zuhilfenahme nett lächelnder
Senioritas mit Ordner-Westen passieren, schon ist
man drin im Vergnügen und bekommt immerhin gratis
die Stadionzeitung "Grada Blanca", deren
Cover am heutigen Jornada, schlicht übersetzt
mit Spieltag, der in Madrider Diensten befindliche
Sergio Ramos schmückt. Catering-Bereiche im Stadioninneren
sind denen in anderen Stadien grundähnlich, noch
haben wir nichts Königliches entdecken können.
Aber das Betreten der Aufgänge zu den Zuschauerrängen
sorgt dann doch für einen kleinen Schauer auf
dem Rücken. Das durchgängig modernisierte
und komplett bestuhlte Stadion verfügt über
nicht weniger als vier übereinanderfolgende Ebenen,
in denen gut 80.000 Besucher Platz finden können.
Bedenkt man dabei, dass man genau wie im Guiseppe-Meazza-Stadion
in Mailand diese Kapazität trotz komplettem Verzicht
auf Stehplätze erreicht, bekommt man einen Eindruck
der hier vorliegenden Dimensionen. So ist es auch
alles andere als ein leichtes, alle Infos auf den
recht spartanisch wirkenden Eintrittskarten richtig
zu verarbeiten und sein Plätzchen mitten in der
Riesenschüssel zu finden. Doch auch hier gibt
es nette Mädchen, die dem desorientierten deutschen
Schlachtenbummler das Leben erleichtern und Plätze
anweisen. Klar ist, dass man für die "Billiglösung
40 €" auf die höchste und dem Spielfeld
am weitesten ferne Ebene des Stadions verwiesen wird.
Beim Blick ins weite Rund wird wiederum deutlich,
dass das Estadio Santiago Bernabeu in seiner Grundkonstellation
eine traditionsreiche Spielstätte ist, denn die
Anzeigetafel ist nur überschaubar groß
und unter Zuhilfenahme einiger Kompromisse bei der
Stadionsanierung noch irgendwie am ganz oberen Rand
des höchsten Ranges installiert worden. Obwohl
die Außentemperaturen empfindlich kühl
sind, wird man von einer seltsam anmutenden Wärme
empfangen, die jedoch weder vom eifrigen Rauchen der
Fans, noch von deren südländischen Temperament
erzeugt wird, sondern von einer Kette von Heizstrahlern
unter dem Dach, die auch Ikarus Respekt eingeflößt
hätten. Ansonsten aber erscheint hier nichts
einzigartig oder gar königlich, jedes neu gebaute
deutsche Erstligastadion nimmt es an Komfort und Sichtqualität
locker mit der hiesigen Schüssel auf.
Doch das Besondere liefert dann der Blick auf den
Rasen und das Warm Up der Teams. Denn Madrid hat nicht
nur im weltberühmten Prado legendäre Kunstwerke
en masse zu bieten, sondern auch im Estadio Bernabeu
gibt es Sehenswürdigkeiten. Hier tummeln sie
sich, die Weltstars des Fußballs, Italiens WM-Kapitän
Cannavaro, die lebende und noch aktive Sturmlegende
Raul Gonzales, der hier nur bei seinem Vornamen gerufen
wird, Spaniens Nationalkeeper Iker Casillas, Brasiliens
Meister des Übersteigers Rubinho und sein Landsmann
Julio Baptista, die Niederländer Robben und Sneijder,
die Argentiner Saviola und Heinze, J.M. Gutierrez,
der sich nur Guti nennt. Der deutsche Nationalverteidiger
Christoph Metzelder und der holländische Sturmtank
Ruud van Nistelrooy sind verletzt. Und selbst die
nun nicht aufgezählten Mitglieder des Real-Kaders
sind meist noch aktive Auswahlspieler ihres jeweiligen
Landes und wären wohl noch locker Stammspieler
in den meisten Bundesligavereinen. Aber auch Valencia
hat so manchen exzellenten Kicker in seinen Reihen,
was die favorisierten Gastgeber an diesem Abend noch
zu spüren bekommen werden. Darunter der spanische
Nationalstürmer Villa, sein serbisches Pendant
Zigic, Ex-Real-Angreifer Fernando Morientes, Mittelfeldregisseur
Joaquin und die deutsche Nummer 2 im Tor, Timo Hildebrand,
der, das sei vorweg genommen, an diesem Abend eine
echte Nummer 1 sein sollte.
Noch eine letzte Parallele zu den Niederungen des
Fußballs gibt es auch hier: Nach dem Aufwärmen
verschwindet dieses Potpourri aus Weltstars und aufstrebenden
Kickern kurz in die Kabinen, ganz so wie bei einem
Drittligamatch, um kurz vor 19.00 MEZ unter den Klängen
der Real-Hymne, diese kann ganz subjektiv nicht mit
Adiole mithalten, wieder den Rasen zu betreten. Das
Stadion dürfte mittlerweile mit gut 75.000 Besuchern
hervorragend gefüllt sein, die Bühne für
einen großen Fußballabend scheint bereitet.
Nach dem Anstoß plätschert das Geschehen
jedoch zunächst etwa 20 Minuten nur dahin. Die
Aufmerksamkeit gilt erstmal fast nur den Ergebnissen
der bereits beendeten Spiele der Konkurrenz, welche
mit Begleitung eines aufdringlichen Getutes von der
Anzeigetafel ins weite Rund transferiert werden. Den
Anhänger eines noch souveränen Tabellenführers
wie Real Madrid lassen die meisten Resultate kalt.
Als jedoch der 4:1 Erfolg des Erzfeindes und wieder
mal Hauptkonkurrenten um den Titel Barcelona verkündet
wird, kommen lautstarke Unmutsbekundungen zum Vorschein.
Ansonsten macht sich zunächst nur die berüchtigte
und den gesamten Unterrang hinter dem Tor einnehmende
Ultra-Gruppierung Reals, die Ultras Sur, akustisch
deutlich bemerkbar. Dirigiert von ihrem Capo, der
von einer ganzen Reihe von Leuten auf dem Zaun neben
ihm unterstützt wird, bringen sie das madrilenische
Liedgut zum Erklingen. Dieses ist von der Melodie
her identisch mit den auch in Deutschland bekannten
Fußballschlagern. Man muss des Spanischen nicht
mächtig sein, um dann hier und da auch eine deftige
Fäkalklatsche Richtung des tapferen Häufleins
der gegnerischen Anhänger gewahr zu werden. Diese
sind ausgesprochen ungastlich in der äußersten
oberen Ecke der Gegengerade auf größtmöglichster
Distanz zu den heimischen Ultras untergebracht.
Wer heißblütige südländische
Fans erwartet hatte, wurde ansonsten zunächst
enttäuscht. Nicht wenige Anhänger der Madridistas
nutzten die laschen Eingangskontrollen um ein regelrechtes
Picknick mit allerlei Naturalien abzuhalten und erstmals
bin ich dankbar dafür, recht weit oben zu sitzen,
denn die komfortableren unteren Sitzränge müssen
in Kauf nehmen, dass auch mal ganz unfein einige Oliven-
oder Kürbiskerne und Reste sonstiger Stadion-Tappas
nach dem Verzehr oral direkt nach unten befördert
werden.
Doch als Mitte der ersten Hälfte das Spiel besser
wird, bessert sich wie in jedem Fußballstadion
der Welt auch die Stimmung. Real hat das Match nach
zähem Auftakt nun im Griff, besonders Guti, der
nach schlechtem Beginn einige Pfiffe geerntet hatte,
spielte nun den ein oder anderen blitzsauberen Pass
in Richtung Raul und Co, doch noch sind die Chancen
nicht zwingend genug, um einen Hildebrand in Verlegenheit
zu bringen. Auf der anderen Seite dringt Valencia
aus einer kompakten Deckung heraus immer mal mit gefährlichen
Kontern durchs Mittelfeld. Dieses ist bei Real unter
dem deutschen Trainer Bernd Schuster sehr offensiv
denkend eingestellt und nach einem überflüssigen
Ballverlust von Wesley Sneijder zentral vor dem eigenen
Tor wird das Spielgerät von Silva genau in die
Nahtstelle der madrilenischen Deckung gespielt, die
trotz Cannavaro arg verwundbar ist, und Valencias
Tor-Rero Villa lässt Casillas nach 33. Spielminuten
nicht den Hauch einer Abwehrchance. Das 0:1! Das Häuflein
Gästefans schwenkt aufgeregt die Fahnen, der
Rest reagiert nur mit Raunen.
Doch wer den kastilischen Bären reizt, muss mit
einer Reaktion rechnen. Und wirklich, kaum ist das
Spiel wieder angestoßen, fliegt ein weiter Flankenball
von halblinks in den Strafraum und der Halbgott der
Madrid-Fans Raul kommt seinem Bewacher zuvor und befördert
die Kugel per Kopf und unhaltbar in die Maschen. 1:1
im Gegenzug, das Match nimmt Fahrt auf! Real profitierte
dabei von der verletzungsbedingten Auswechslung des
Abwehrchefs Albiol, der kurz zuvor von einem Guti-Freistoß
mitten ins Gesicht niedergestreckt wurde, wie ein
unterlegener Gegner von Boxweltmeister Klitschko.
Er musste durch Ivan Helguera ersetzt werden. Obwohl
dieser für die Gäste am Ball war, erhielt
er bei seiner Einwechslung tosenden Applaus von allen
Fans im Stadion, was sich dadurch erklärt, dass
er zuvor lange Jahre erfolgreich für Real tätig
war. Eine erstaunliche Geste. Bis zur Pause tat sich
nichts mehr. Das Spiel war sicherlich nicht schlecht,
aber deutlich steigerungsfähig.
Und diese Steigerung sollte kommen, und zwar gewaltig,
denn die zweite Spielhälfte bot exzellenten und
tempogeladenen Fußball der feinsten Sorte. Real
drückte nun von der ersten Sekunde nach Wiederanpfiff
gewaltig aufs Tempo und die bislang recht sichere
Gästeabwehr geriet gewaltig ins Schwitzen, während
der Zuschauer mit atemberaubend schnell vorgetragenen
Kombinationen der Gastgeber verwöhnt wurde. Nur
ganze zehn Minuten hielt Valencia diesem Druck unbeschadet
stand, dann setzte Guti Raul in Szene und der zeigte
seine ganze Klasse und beförderte die Kugel aus
der Drehung heraus ins vom Schützen aus gesehene
untere rechte Toreck, erneut gab es keine Abwehrchance
für Hildebrand. Nach dem noch recht verhaltenen
Jubel über den Ausgleich zelebrierte Real nun
den Torjubel vor der ekstatisch jubelnden Fankurve.
Der Stadionsprecher performierte unterstützt
von 75.000 Kehlen das ultimative rollende R im Namen
des Doppeltorschützen und auch der letzte hatte
sich nun erhoben, sei es auch nur, um das Geschehen
auf dem Rasen noch verfolgen zu können.
Apropos erheben, ein Bernd Schuster würde an
Essens Hafenstraße nicht gut ankommen, denn
der Coach ist während des Spiels kaum geneigt,
die Trainerbank zu verlassen und in die Coaching-Zone
zu treten, was in den Augen einiger RWE-Fans ja bekanntlich
von Emotionslosigkeit und Inkompetenz zeugt. Valencias
niederländischer Trainer Roland Koeman wäre
da aufgrund stetiger Präsenz am Spielfeldrand
wohl besser gelitten.
Die Vorentscheidung schien gefallen, Madrid zeigte
nun formschönen Fußball, der, wie es schien,
zwangsläufig auf das 3:1 hinauslaufen musste,
im gönnerhaftem Überschwang wurde von den
Real-Fans nun auch noch die zweite Einwechslung eines
ehemaligen Real-Spielers auf Valencia-Seite mit Standing
Ovations gefeiert, als Fernando Morientes das nun
lahm liegende Angriffsspiel der Gäste neu beleben
sollte. Doch diese Herrlichkeit währte nur 8
Minuten nach der Führung. Da kam Arizmendi nach
einem Zweikampf mit Weltmeister Cannavaro im Real-Strafraum
zu Fall, so dass Valencias erste Strafraumbegehung
in Hälfte Zwei von Arbitro, zu deutsch Schiedsrichter,
Carlos Gomez aus Aragones sogleich mit Elfmeter belohnt
wurde. Zweifelhaft, aber auch ungewohnt unclever vom
Verursacher. Das gellende Pfeifkonzert irritierte
Schütze David Villa nicht, der Iker Casillas
leicht und locker verlud und zum 2:2 einschob, so
dass beide Sturmführer, die übrigens auch
beide die Nr. 7 auf dem Trikot tragen, nun einen Doppelpack
ihr eigen nennen konnten.
Real reagierte mit wütenden Angriffen, die keinen
Zweifel aufkommen ließen, dass ein Remis nicht
den Ansprüchen der Gastgeber genügte. Bemerkenswert
dabei war, dass fast zu jedem Zeitpunkt des Matches
rein spielerische Mittel in die Waagschale geworfen
wurden, um die Abwehrreihe zu knacken. Nahezu kein
einziger langer Ball ins Sturmzentrum folgte, sondern
schneller und technisch brillanter Kombinationsfußball.
Dabei waren die Brasilianer Rubinho und Baptista schon
vom Feld genommen worden, ersterer agierte uneffektiv,
letzterer unglücklich. In der letzten halben
Stunde des Spiels wurde einer zum Mann des Abends,
Timo Hildebrand brachte Madrid mit unglaublichen Reflexen
in Serie zur Verzweiflung und seinen Namen wohl ganz
dick ins EM-Notizbuch von Bundestrainer Löw.
Manch Chance, die der blonde Keeper vereitelte, war
so groß, dass sich nicht wenige Zuschauer schon
feiernd in den Armen lagen, bevor dann doch wieder
ein Fuß oder Arm des Ex-Stuttgarters rettend
hervorschnellte. Jedenfalls gab es nun endlich die
berühmte spanische Stierkampfatmosphäre
und die Zuschauer legten ihre vornehme Zurückhaltung
ab, um entweder ihr Team nach vorne zu peitschen oder
Referee Gomez, der an diesem Abend ganz sicher kein
Heimschiedsrichter war, für eine mal wieder nicht
genehme Entscheidung lautstark zu tadeln. Zum Einsatz
kamen auch die symbolträchtigen weißen
Taschentücher, in Spanien Zeichen für die
Feigheit eines Toreros beim Stierkampf oder eben der
Verurteilung einer schwachen Leistung beim Fußball,
was hier allein dem Schiedsrichter galt.
Eigentlich schien es wieder nur eine Frage der Zeit,
wann Real die erneute Führung doch gelingen sollte,
doch während die Uhr herunter tickte, traute
sich Valencia den ein oder anderen Konter zu. Das
nun bedingungslose Offensivspiel der Königlichen
sorgte dabei natürlich auch für entsprechende
Freiräume für die gewiss guten Angreifer
der Gäste. Einer davon sollte dann in der 87.
Minute tatsächlich dafür sorgen, dass der
Spielverlauf der zweiten Hälfte auf den Kopf
gestellt wurde. Arizmendi setzte sich nach einem öffnenden
Diagonalpass auf den rechten Flügel dort gegen
Cannavaro durch, der ohne seine aus der italienischen
Nationalelf gewohnten Absicherer aus dem Mittelfeld
doch sehr blass aussah, und eilte unbehelligt mit
der Kugel in den Strafraum. Iker Casillas unterlief
nun ein verhängnisvoller Fehler, denn obwohl
der einzige mitgelaufene Gästespieler im Zentrum
markiert war, öffnete er dem Schützen das
kurze Eck, um einen potenziellen aber sinnlosen Querpass
zu unterbinden. Arizmendi sagte "Gracias"
und schob die Kugel einfach im unbewachten Eck ein.
3:2 für Valencia, was fast nur mit dem Rücken
zur Wand gestanden hatte.
Fußball ist verrückt und manchmal ungerecht,
aber eben das macht ihn ja so reizvoll. Wie konsequent
die Gastgeber die Entscheidung gesucht hatten konnte
dabei durchaus imponieren und auch wenn Real am Ende
mit ganz leeren Händen dastand, so wusste die
taktische Grundausrichtung von Bernd Schuster ganz
objektiv wirklich zu gefallen. Unter Vorgänger
Capello wäre der eine Punkt wohl nicht mehr riskiert
worden, die Gaudi aber auch eine Nummer kleiner ausgefallen.
Die Fans der Once Blanca nahmen das mit einer Mischung
aus Fassungslosigkeit und sarkastischem Amüsement
hin, allein eine etwas korpulent wirkende junge Dame,
bei der man sich gut vorstellen kann, dass ihr Schlafzimmer
gespickt ist mit Bravo-Postern der Real-Stars, schickt
verzweifelte Stoßgebete in den Abendhimmel.
Diese werden zumindest in der Form von fünf langen
Nachspielminuten belohnt, da die Gäste dass Spiel
zwischenzeitlich doch arg verschleppt hatten. Eine
weitere Riesenchance für Raul steht noch zu Buche,
doch den Hattrick des Angriffsführers bei einem
Kopfstoß aus etwa sechs Metern Torentfernung
vereitelt erneut der glänzend aufgelegte Hildebrand.
Selbst die Freunde des Feinschmeckerfußballs
greifen jetzt aber auch mal zur Brechstange und schicken
in der Schlussminute lange Bälle nach vorne,
deren Wirkung jedoch verpufft. Dann bläst Herr
Gomez aus Aragones final in sein Arbeitsgerät,
begleitet von einem milden Pfeifkonzert der Zuschauer,
die ihrem Team nicht wirklich etwas vorwerfen können,
sieht man von der Chancenverwertung ab. Nach respektvollen
Shakehands im Mittelkreis verabschieden sich die Mannschaften
in die Kabinen, auch die siegreichen Valencianer begnügen
sich mir höflichem Klatschen in ihre kleine,
aber feine Fanecke.
Wer eine Humba zur Feier des durchaus überraschenden
Sieges erwartet hatte, sah sich getäuscht. Auch
die riesige Betonschüssel leert sich schnell
und Dank der hervorragenden Verkehrsinfrastruktur
sowohl im ÖPNV als auch in den PKW-Anbindungen
erinnern auf dem Stadionvorplatz bald nur noch die
Gesänge der siegestrunkenen Gästefans, die
zur Sicherheit noch im Inneren festgehalten werden,
an ein durchaus großes Fußballspiel. Allein
die durch die hohe individuelle Klasse der auf dem
Feld versammelten Elite garantierten Überraschungsmomente
sorgten für hohen Unterhaltungswert und fast
jederzeit an diesem Abend lag etwas hüben oder
drüben vor den Toren in der Luft.
Am nächsten Tag steht noch ein kurzer Besuch
am Stadion des Lokalrivalen Atletico Madrid an, erfreulich
dass die Vereinsfarben hier neben dem bekanntermaßen
hässlichen Blau auch das schöne Rot und
Weiß beinhalten. Architektonisch fällt
das ziemlich moderne Estadio Vicente Calderon vor
allem dadurch auf, dass direkt unterhalb der Haupttribüne
die Stadtautobahn entlang führt. Fraglich, ob
die Fans von Atletico deshalb mehr Energie versprühen
als die der königlichen Madridistas, die sich
letztlich obwohl Anhänger des wohl berühmtesten
Klubs der Welt als ganz normale Supporter zeigten.
Nicht nur deshalb gilt trotz eines tollen Fußballabends
natürlich auch in Zukunft der Spruch, lieber
mit RWE in Liga Vier - hoffentlich nicht - als mit
Real in die Königsklasse. Dort drücken wir
eh dem Erzrivalen aus Barcelona demnächst gegen
einen blau-weißen Stadtteilverein kräftig
die Daumen.
(sm)
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