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07.03.2006: Champions League Juventus Turin - Werder Bremen


Mit dem RWE einmal außerhalb Deutschlands zu spielen – das erscheint angesichts der momentanen Ligazugehörigkeit eher aussichtslos. Während wir wohl alle von 5000 Essenern im diesjährigen Pariser Champions League Finale träumen, hat uns die internationale Realität irgendwo zwischen einem abgesagten holländischen Testspiel, dem nicht statt gefundenen Freundschaftsrückspiel in Edinburgh und dem alljährlichen Trainingslager in Spanien eingeholt.

Was für Optionen hat man da noch?

Etwas mehr als einfach „nur“ Hopping und eine immer willkommene Abwechslung ist es, wenn man sich an unseren grün-weißen Freundschaftsverein aus dem Norden hängen und so auch einen Hauch von Rot-Weiss im internationalen Fußballgeschäft erleben kann.

Dieses Mal stand eine Busfahrt in den Nordwesten Italiens an: Juventus Turin empfing Werder Bremen im Rückspiel des Champions League Achtelfinales. Nachdem Werder das Hinspiel zu Hause überraschend, aber verdient, mit 3:2 für sich entscheiden konnte, genügte auswärts schon ein Unentschieden. Sollte das „Wunder von der Weser“ im „Wunder von der Po-Ebene“ eine Auferstehung feiern? Sieben Rot-Weisse – darunter selbstverständlich auch jawattdenn.de - wollten es hautnah erleben und konnten sich in einen Bremer Bus einschleichen, der den kleinen Umweg über Essen in Kauf nahm.

Für erste Erheiterung sorgte die Tatsache, dass es sich um einen Nichtraucherbus handelte – bei einer Fahrtdauer von 19 Stunden zwischen Bremen und Turin und vielen Nikotinjunkies war dies wahrscheinlich nicht die allerbeste Idee. Wenigstens bleibt da noch das andere klassische Laster des Fußballfans: Der Alkohol. Oder vielmehr bliebe das andere Laster, wenn es die Bremer in den 4 Stunden zwischen ihrer Abfahrt und dem Ruhrgebiet nicht schon geschafft hätten, die Boardtoilette hoffnungslos in die Knie zu zwingen. In der Situation wurden die zahlreichen Biervorräte geschont und die Lebern auf härtere Bewährungsproben mit weniger Flüssigkeit gestellt: Die Hauptsache war, dass man nicht alle 20 km an einem Rastplatz halten muss. Dementsprechend gut gelaunt ging es Richtung Süden. Selten hat man auf einer Busfahrt so viele verschiedene Wetterlagen vereint gesehen – vom nasskalten Deutschland über die schneebedeckten Schweizer Alpen bis hin zum strahlend blauen italienischen Himmel bei 15° hatte man alles im Programm.

Kurz vor Turin wurde unser Bus dann von der italienischen Polizei angehalten und auf einen Parkplatz bugsiert. Von dort aus ging es so lange nicht weiter, bis genügend weitere Busse eingetroffen waren und die Zeit vor Spielbeginn wohl nicht mehr dazu genutzt werden konnte, die Zivilbevölkerung mit der Anwesenheit deutscher Fans zu belästigen. Nach einem längeren Aufenthalt wurden wir dann mit einem beachtlichen Blaulichtaufgebot in die Stadt begleitet, wo wir knapp 1,5 Stunden Zeit hatten, die nähere Umgebung zu erkunden. Diese erwies sich jedoch als etwas trist – so war es nicht verwunderlich, dass man in den zwei nahe gelegenen Supermärkten überwiegend grün-weiß (und leider auch grün-orange) gekleidete Deutsche auf der Suche nach Bier und Nahrung fand.

Um Punkt 18 Uhr setze sich eine große Anzahl an Bussen in Bewegung, und dieses Mal ging es auch endlich Richtung Stadion. Auf einem großzügig abgesperrten Parkplatz wurden die mitgereisten Fans entladen und durften sich sogleich ins gern gesehene (die Erinnerung an das Halbfinale Deutschland-England bei der WM 1990 ist noch immer präsent) aber – wie sich später herausstellte – auch stimmungsarme Stadio Delle Alpi begeben. Die obligatorischen Schalverkäufer am Stadion sind kaum der Rede wert, drängten sie sich doch schon in den Stunden zuvor jedem deutschen Fußballfan auf.

Fast 90 Minuten vor dem eigentlichen Spiel war im Stadion noch nicht viel los - aber vielleicht würden ja kurz vor Spielbeginn noch riesige Massen ins Stadion drängen? Dem war nicht so: Knapp 30.000 der 70.000 Plätze blieben unbesetzt, so dass sich 40.000 Zuschauer (darunter über 2000 Bremer) zum Anpfiff im Alpen-Stadion befanden. Nach 40.000 fühlte sich die Atmosphäre trotzdem nicht an – zu viel Platz war leer, um so etwas wie den im Fußballjargon oft zitierten Hexenkessel zu schaffen.

Von Bremer Seite wurde hingegen von Anfang an Vollgas gegeben, schließlich ist das nach einer so weiten Reise eine Art Verpflichtung. Nicht nur auf den Gästerängen, sondern auch in der Heimhälfte auf dem grünen Rasen wurde von Anfang an Druck gemacht: Werder schaffte es hervorragend ins Spiel und setzte Juve gehörig unter Druck. Die Weltklasse-Spieler in den schwarz-weißen Trikots konnten sich nicht richtig einbringen und kassierten bereits in der 13. Minute den im Vorfeld der Partie wohl völlig unerwarteten Führungstreffer der Bremer. Schulz legte auf, der glänzende Micoud überwand Buffon und ein grün-weißes Freudenfeuerwerk war auf den Rängen entfacht.

Die Mannschaft spielte weiter stark auf – und ließ sich die alte Dame auch weiterhin nicht entfalten. Vereinzelte Aktionen der Turiner brachten trotzdem kurzfristig Gefahr – doch ein glänzend reagierender Wiese verhinderte erst ein Eigentor durch Schulz und dann auch einen strammen Schuss von Trezeguet. Werder ließ sich nicht beeindrucken und hatte kurz vor der Pause auch in der Offensive noch etwas entgegenzusetzen: Fast hätte es Klasnic noch geschafft, den Sack mit einem 0:2 praktisch zu zumachen – drei Tore für Juve in zweiten Hälfte wären auch wohl auch gegen die Werder Abwehr kein leichtes Unterfangen gewesen. Sekunden vor dem Abpfiff war es wieder Wiese zu verdanken, dass der Ausglich nicht fiel, nachdem er Emerson und Nedved mal eben in ihre Schranken verwies. Lautstark wurde „Wiese, Wiese, Wiese“ skandiert – und auch ein „Juve, Juve, vaffanculo“ ertönte mehrmals.

Die Aufforderung, dass sich die Turiner doch einmal in ihren Allerwertesten ganz doll lieb haben sollen, wurde jeweils mit einem gellenden Pfeifkonzert von der anderen Seite bedacht – in diesen Augenblicken merkte man das Potenzial der italienischen Fans; ferner sprach das aber auch dafür, dass der Werder-Block akustisch bis in letzte Ecke vordringen konnte.

Wer sich in der Halbzeitpause auf ein kühles Bier, eine heiße Bratwurst oder so etwas wie sanitäre Anlagen gefreut hat, wurde dann bitter enttäuscht: Belegte Baguette, Plastik-Cola-Flaschen (mit abgedrehten Deckeln, es könnte ansonsten etwas geworfen werden) und nur drei der berühmten südländischen Stehklos müssen in Turin für Gäste wohl reichen. Angesichts des Spielstandes sah man darüber aber mit mehr als einem lachenden Auge hinweg – und schon ging es weiter.

Die Juve-Spieler betraten bereits einige Minuten vor dem Anpfiff das Stadion und signalisierten damit deutlich, dass sie die Mission „Champions League“ keineswegs kampflos aufgegeben möchten. Werder zog sich etwas zurück – oder wurde vielmehr zurückgedrängt, da die Turiner mit aller Gewalt nach vorne spielten. Die in der Turiner Hintermannschaft freigewordenen Räume wussten sowohl Klasnic als auch Borowski fast zu nutzen – doch die Führung konnten sie dann leider doch nicht ausbauen. Auf der anderen Seite erzielte Trezeguet in der 65. Minute den Ausgleich – und auf einmal waren italienische Emotionen im Spiel.

Die Juve-Fans feierten lautstark den Ausgleich, während sich im Gästeblock die Ratlosigkeit breit machte. Das 1:1 würde zwar genügen, aber es waren noch fast 30 Minuten zu spielen. Kann das mit der so oft schlecht geredeten Werder-Abwehr gegen einen europäischen Spitzenklub gut gehen? Fast sah es danach aus: Tim Wiese spielte bombenmäßige Minuten und schien Juve in die Verzweiflung zu treiben – bis ihm in der 88. Minute der einzig nennenswerte Fehler der gesamten Partie unterlief: Der bereits gehaltene Ball rutscht ihm wieder aus der Hand und Emerson hat keine großen Probleme mit dem 2:1. Die verzweifelte Hoffnung, dass nach vorne noch etwas geht, schwand im Sekundentakt. Zu lieb- und harmlos agierten die 11 Mannen von der Weser, obwohl sie ja gar nichts mehr zu verlieren hatten. Aber einem Club wie Juventus Turin in der kurzen Zeit noch den Sieg zu nehmen, hätte wohl noch am gleichen Abend eine Seligsprechung des Bremer Kaders durch den Papst bedeutet.

Dass die stark gefrusteten Bremer (und Essener) noch lange im ansonsten menschenleeren Stadion verweilen musste, sorgte zwar nicht gerade für gute Laune, aber die war ja sowieso schon dahin. Die Devise lautete einfach nur, schnell in den Bus zu kommen und in weniger als 15 Stunden Essen zu erreichen. Die unspektakuläre Rückfahrt wurde – Disney-Videokassetten sei Dank – sehr ruhig verlebt. Für Außenstehende sicherlich ein Bild für die Götter: Eine Gruppe Fußballfans schaut in stiller Eintracht „Toy Story“. Vielen Dank an die Bremer für die Mitfahrgelegenheit, das war hoffentlich nicht die letzte gemeinsame Tour!


(tk)




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