Okay, ein ganz klein wenig mulmig
war es am Anfang dann doch. Das Spiel der Gruppe E
zwischen den USA und der Tschechischen Republik lief
unter höchster Sicherheitsstufe. Angeblich
so hieß es hinter vorgehaltener Hand
hätten die Amis sogar 100 Soldaten und einige
Panzer gut getarnt in der Nähe des Stadions in
Bereitschaft für den Fall der Fälle....
Auf dem Weg von der A2-Ausfahrt GE-Buer zur Veltins-Arena
in der Tat waren mehrere solcher Hinweisschilder
von der FIFA nicht überklebt worden! zerstreute
die lockere Volksfeststimmung schnell alle düsteren
Gedanken. Auch in der unmittelbaren Umgebung der Spielstätte
war kein verdächtig starkes Polizei- oder Sicherheitsaufgebot
zu beobachten statt dessen mischten sich zahlreiche
neutrale (deutsche) Fans und sogar ein paar Anhänger
mit irischen (!) Fanhüten unter die erwartungsfrohen
Anhänger.
Die Einlasskontrolle war dann auch erstaunlich lax:
Kurzes Abtasten, kein Zeigen des Perso erforderlich,
obwohl die 100 Euro teure Karte meiner Person fest
zugeordnet war. Aber als wollte er mir zeigen, dass
das elektronische Netzwerk dennoch perfekt steht,
sagte der Kontrolleur beim elektronischen Ticket-Check
nur: Geboren 1957, oder?
Man mag ja als alter RWE-Fan eine Hassliebe oder sogar
einen wirklichen Hass zum nördlichen Reviernachbarn
pflegen. Doch ist das Ensemble aus neuem Stadion,
altem Parkstadion und dem genau dazwischen gepflanzten
Marriott Courtyard Hotel schon ziemlich einmalig in
Deutschland. Da die neue Arena leicht erhöht
steht von manchen Höhen des Essener Südens
(Überruhr, Kupferdreh) ist das Dach bei klarem
Wetter deutlich zu sehen wirkt sie auf mich
wie ein Tempel des Fußballs. Einem WM-Spiel
allemal würdig.
Innen war es in diesem Tempel denkbar stickig. Der
erste Blick ging hoch zur Decke: Blauer Revierhimmel
schien hindurch, die FIFA hatte ihre Ankündigung
also doch nicht wahr gemacht, das Dach wegen vermeintlich
besserer Fernsehbilder schließen zu lassen.
Die Sauna-Temperaturen sanken dennoch kaum, denn das
FIFA WM-Stadion Gelsenkirchen ist halt
viel mehr eine Halle als ein Stadion. Und draußen
war es selbst im Schatten gut 30 Grad.
Erste Eindrücke aus Reihe 14 im Block C1 der
Nordtribüne: Keine leeren Blocks, dafür
rot, soweit das Auge reicht. Die Tschechen klar in
der Mehrheit, sie okkupierten die ganze Ostkurve bis
unters Dach und auch im Westen machten sich große
Blocks mit dem Schlachtgesang Cesi do Toho!
bemerkbar.
Ein größerer amerikanischer Fanblock wurde
nur am Übergang zwischen Ost und Südtribüne
hör- und sichtbar. Auf der links oberhalb liegenden
Ehrentribüne wurden neben dem gestürzten
Schalke-Übervater Rudi A. und dem Fast-Totengräber
des BVB (Gerd N.) unter vielen anderen noch Michel
Platini, Tschechiens Staatschef Vaclav Claus und natürlich
unser aller Kaiser Franz gesichtet.
Links von mir hatte sich US-Fan Joseph Somerville
bereits mit allem Nötigen fürs Match eingedeckt.
Ein kühles Budweiser und zwei German Bratwurst
stimmten den 1,75 Meter großen und sicher deutlich
über 130 Kilo schweren Mann aufs Match ein. Joseph
und seine Landsleute rundum tippten schon vor dem
Spiel auf Tschechien, doch beim Abspielen der Nationalhymne
schmetterten alle (mit der Hand korrekt über
dem patriotischen Herz) inbrünstig mit. Insgesamt
hofften sie, dass die amerikanischen Tugenden vielleicht
doch für ein kleines Wunder sorgen könnten.
Tschechien spielte wie erwartet ohne den noch leicht
verletzten Milan Baros, der nur beim Aufwärmtraining
zu bewundern war. Die Augen der Bundesliga-Dauergucker
focussierten die beiden Nicht-mehr Borussen Koller
(zu Monaco) und Rosicky (zu Arsenal) sowie David Jarolim
vom HSV. Bei den schwarz gekleideten Amerikanern spielten
zwei aktuelle BL-Spieler: Torwächter Kasey Keller
(Mgladbach) und Steven Cherundolo (96). Aber
auch Kapitän Claudio Reyna (lange Jahre bei Wolfsburg)
und Offensivkraft Landon Donovan (Ex-Leverkusen) waren
Fixpunkte in einer ansonsten eher weniger prominenten
Truppe.
Schon in der 5. Minute dann der erste Tiefschlag für
die Amerikaner: Zdenek Grygera von Ajax Amsterdam
tankt sich auf der rechten Außenseite bis fast
zur Grundlinie durch, flankt beherzt nach innen und
Kopfball-Ungeheuer Koller nickt in wohlbekannter Manier
ein: 1:0. Joseph neben mir bleibt vor Schreck fast
die Wurst im Halse stecken, er hatte von diesem tall
guy Koller vorher noch nie etwas gehört.
Die Amerikaner tun sich vorne mit ihren Spitzen McBride
und Donovan gegen die solide tschechische Abwehr schwer,
erobern sich aber in der 11. und 13. Minute (McBride
und Reyna) die ersten Chancen - verhaltenes U-S-A
von den Rängen. Die Tschechen lassen die Amis
nun etwas kommen, von dem späteren Spielhelden
Rosicky ist noch kaum etwas zu sehen. In der 23. Minute
geht die erste La Ola durchs weite Rund wenn
sich schon auf dem Rasen nichts tut, müssen Fans
sich halt selbst feiern.
Dann kommt in der 28. Minute Reyna (Spitzname Captain
America) frei auf Höhe der Strafraumgrenze
zum Schuss - und trifft den linken Pfosten! Es sollte
die größte Chance für die Amerikaner
bleiben. Zumal nun die große Zeit der Zaubermaus
Tomas Rosicky beginnt: In der 36. Minute geht sein
Fernknaller unhaltbar rechts oben ins Netz
0:2. Dabei dreht er sich wie der Schuss von Thorsten
Frings (4:2 gegen Costa Rica) immer mehr nach außen
weg und wird so für Keller unerreichbar.
Dann bald darauf der Moment, bei dem ganz Tschechien
der Atem stockt: Koller dringt auf der linken Seite
in den Strafraum ein und fällt ohne direkte Einwirkung
seines Gegenspielers zu Boden. Wenn der Koller
liegenbleibt, hat er wirklich was, tönt
es links oberhalb von mir, während die Fans aus
Prag, Brünn und Pardovitz seinen Namen vieltausendfach
skandieren. Auf der Bahre geht es für den lange
verletzten Koller aus dem Stadion. Schon am nächsten
Tag wissen wir mehr: Muskelfaserriss maximal
sechs Wochen, minimal zehn Tage Pause.
Pause Joseph Somerville macht sich auf zum
Bunkern von Speis und Trank. Erst in der 60. Minute
sollte er mit drei Getränken (zwei Bier und einer
Cola) und ein paar Laugenbrezeln von seinem Ausflug
zurückkommen. Auch wir hatten uns auf einen kleinen
Fußmarsch begeben, um eigens einen Stand mit
deutschem Bitburger anzusteuern. Den hatten wir uns
vorher auf der Internet-Seite bitburger.de ausgeschaut,
wo es für jedes Station genaue Lagepläne
aller Bit-Tränken gibt. Das lange Warten in der
Schlange kostete uns zwar auch gut fünf Spielminuten
der zweiten Hälfte, doch rann die Eifelaner Kaltschale
weitaus mundiger durch die Kehle als das geschmacksneutrale
Bud des FIFA-Generalsponsors Anheuser Busch.
Doch zurück zum Spiel: Auf dem Grün spielt
nun Vratislav Lokvenc von Red Bull Salzburg anstelle
von Koller der staksige Laufstil des zweiten
Sturmhünen erinnert stark an Englands Peter Crouch
und den Ex-RWEler Francis Kioyo. US-Coach Bruce Arena
versucht mit OBrien und Johnson neuen Schwung
in seine Truppe zu bekommen, doch sollte es für
seine Boys noch schlimmer kommen: Erst trifft Rosicky
in der 68. - sozusagen als Vornwarnung - nur die Latte,
dann klingelt es in der 76. zum dritten Mal bei Keller:
Turins Pavel Nedved eigentlich nach der EM
2004 schon aus der Nationalelf zurückgetreten
schickte mit gepflegtem Pass eben jenen Rosicky
auf die Reise. Und der bedankt sich mit einem herrlichen
Schlenzer aus vollem Lauf da darf sich Arsenal
auf einen freuen! Damit war die Partie natürlich
gelaufen das sah wohl auch Kaiser Franz
so, der unmittelbar nach dem 3:0 seinen Platz fast
fluchtartig verließ und zum Helikopter nach
Hannover (Ghana-Italien) eilte.
Die letzten Minuten tröpfelten so dahin. Zeit,
um US-Fan Joseph noch etwa auszufragen: Ich
wohne während der WM bei einem Freund in Arnsberg
im Sauerland, a super place, schwärmt er.
Von hier aus schaue ich mir noch zwei Spiele
an: Argentinien-Niederlande in Frankfurt und USA-Ghana
in Nürnberg. Und danach geht es bestimmt
nach Hause, oder? Nein, zunächst
fliege ich erst noch nach England, zum Wimbledon-Turnier,
Damen und Herren, antwortet der 38jährige,
der in Los Angeles für die amerikanische Version
der TV-Gameshow Glücksrad tätig
ist. Den ganzen Jahresurlaub habe er für diese
beiden Top-events genutzt, sagt der sportbegeisterte
Mann mit der wenig sportlichen Figur stolz: Erst
am 4. Juli fliege ich in die Staaten zurück,
und am Tag darauf geht es gleich wieder mit der Arbeit
los.
Schlusspfiff: Joseph nimmt die Niederlage gelassen:
Diese Truppe ist zumindest besser als die von
1990, wo fast nur Studenten aus New Jersey kickten,
stellt er fest und schreit ein beherztes We
come back!! heraus. Zum Abschied wollen wir
dann noch wissen, warum sich der Fußball in
den USA immer noch so schwer tut. Der Hauptgrund
liegt darin, dass die hungrigen Kids aus den Unterschichten
immer noch Basketball und American Football bevorzugen.
Anders als in Brasilien und Afrika gilt soccer (so
nennen die Amis unseren Fußball) nicht so sehr
als Chance, der Armut in den Ghettos der Vorstädte
zu entrinnen, hat Joseph scharf analysiert.
Soccer ist mehr eine Sportart der Mittelschicht,
der etwas besser gestellten Kreise.
Zwei Impressionen, die an diesem warmen Abend in Gelsenkirchen
noch hängenblieben, sollen hier nicht verschwiegen
werden: Da ist Trainer Karel Brückner, dieser
grauhaarige Grandseigneur des Fußballs, der
Pavel Nedved, seinen verlängerten Arm, umarmt.
Er tut es sehr lange und sehr väterlich, als
ob er wüßte, wem er neben Rosicky den Sieg
zu verdanken hat. Mit den Tschechen ist zu rechnen,
doch treffen sie im Achtelfinale entweder auf Brasilien
oder Kroatien. Und wenn Koller dann noch fehlt
ob es dann reicht?
Und später noch die friedlichen Szenen in der
Bar und im kleinen Biergarten des Marriott-Courtyatd-Hotels.
Amis und Tschechen lassen das Spiel noch einmal sacken,
friedlich wie den ganzen Nachmittag über. Gezapftes
(hier durfte es dann doch Veltins sein) gab es auf
den Frischluftplätzen jedoch nur aus Pappbechern.
Grund: Drei Tage zuvor waren hier nach Polen-Ecuador
ziemlich viel Gläser zu Bruch gegangen. Aus Frust
über ein unerwartetes 0:2!
(tmi)
WM-Gruppe E
USA Tschechien 0:3
Keller Cherundolo (ab 46. Johnson), Pope,
Onyewu, Lewis Mastroeni (ab 46. OBrien),
Reyna Beasley, Convey, Donovan, McBride (ab
77. Wolff)
Cech Grygera, Jankulovskio, Rozehnal, Ujfalusi
Galasek, Poborsky (ab 82. Polak), Rosicky (ab
86. Stajner), Nedved, Plasil, Koller (ab 45. Lokvenc)
Schiedsrichter: Carlos Amarilla (Paraguay), Zuschauer:
52.000 (ausverkauft)
Tore: 0:1 Koller (5.), 0:2 Rosicky (36.), 0:3 Rosicky
(76.)
Gelbe Karten: Onyewu, Reyna Grygera, Lokvenc,
Rosicky, Rozehnal
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