Vorschau: 9. Spieltag | Chemnitzer FC - Rot-Weiss
Essen
Chemnitz? Da war doch was!
Es war im Winter 2002. Unser Team sollte an einem
Samstag in Sachsens Landeshauptstadt Dresden antreten.
Viele Essener, einschließlich meiner Person,
nutzten die Gelegenheit zu einem verlängerten
Wochenende an der Elbe.
Gebucht wurde ein Hotel von Freitag bis Sonntag. In
der Nacht von Freitag auf Samstag begann es sinnflutartig
an zu regnen. Für uns verwöhnte Westgroßstädter
war dies ein absolut bekanntes Szenario, welches höchstens
ein paar überflutete Keller nach sich ziehen
würde. Jedoch nicht so für die Elbstädter.
Ein Jahr nach der Hochwasserkatastrophe stellte dies
für sie ein großes Problem dar. So erreichte
den Fans aus Essen, während der Fahrt nach Sachsen
oder in ihren Aufenthalten in Dresden, um 10:03 Uhr
die Nachricht, das Spiel falle wegen Unpassierbarkeit
der Zufahrtsstraßen sowie der Unbespielbarkeit
der Rasenfläche aus.
Was sollten nun diese Fans machen?! Die Polizei aus
Sachsen kam auf die glorreiche Idee, die Fans nach
Chemnitz umzuleiten, denn dort spielte zur gleichen
Zeit die SG Wattenscheid 09. Anscheinend vermuteten
die Ordnungshüter, dank der Nähe der Städte
Essen und Bochum, eine Fanfreundschaft zur SG.
Sollte man dort hinfahren? Was blieb einem auch sonst
für eine Alternative, nach diesen Reisestrapazen?
Etwa die Rückfahrt nach Essen?! So machten sich
die Pilger auf die 90 km-Fahrt in Richtung Chemnitz.
Auch hier schüttete es in Strömen. Da Chemnitz
scheinbar nicht unter Überflutungen zu leiden
schien, konnte das Spiel dort stattfinden.
Doch was sollen diese Informationen in einem Vorbericht
zu dem kommenden Chemnitz-Spiel? Mal angenommen, ein
Spiel in Wattenscheid fällt aus und die Fanbusse
aus Erfurt, Jena oder Leipzig würden nach Essen
an die Hafenstraße weitergeleitet, damit die
Fans dort ein Fußballspiel sehen können.
Was wäre die Konsequenz?
Gut, die Vorzeichen in Chemnitz waren damals andere.
Es gab bereits eine Freundschaft zwischen den Ultras
Chemnitz und denen der Essener. Doch dass in Chemnitz
in eine Fanhalle eingeladen wurde, dort absolut friedlich
mit Fans aus Chemnitz und (am Anfang total verstörten)
Wattenscheidern gefeiert wurde, so etwas gibt es wohl
in deutschen Fanszenen nur selten! Dass danach einem
auch noch die freie Wahl gelassen wird, ob man nun
das Spiel mit den gut 100 Wattenscheidern im Gästeblock
oder mitten im CFC-Block verfolgt, so etwas verdient
wohl einen ganz besonderen Respekt!
Die meisten RWE-Fans vor Ort waren die üblichen
Verdächtigen, die man wohl am Besten
unter dem Begriff "Allesfahrer" zusammenfassen
kann. Von ihnen wird wohl kaum einer diesen feucht-fröhlichen
Nachmittag in Chemnitz und die Gastfreundschaft der
Fans dort vergessen.
Beim nächsten Aufeinandertreffen unseres Teams
mit dem Chemnitzer FC gab es übrigens eine von
den Ultra-Gruppierungen organisierte Privatparty in
Essen-Kray. Leider konnten die Fans des CFC erst verspätet
dort erscheinen, da die Essener Polizei zuvor den
Bereich hinter dem Gästeblock von Fußballfans
räumen musste, die in Chemnitz nur einen weiteren
verhassten Ostclub oder eine weitere Möglichkeit
zum Aggressionsabbau im Alkoholrausch sahen.
Seit dem gab es nicht nur mehrere Besuche von Fangruppen
beider Lager bei Spielen der anderen Mannschaft, wie
beim Spiel Paderborn - Chemnitz, Fürth - Essen
oder Aue - Essen. Auch auf der Rückfahrt vom
Spiel in Leipzig, als der Aufstieg bereits gesichert
war, trafen sich Fans beider Teams, zwar eher zufällig
auf einem Rasthof an der B7 bei Kassel, doch ca. 1
Stunde wurde dort gemeinsam und friedlich gefeiert.
Doch genug in Erinnerungen geschwelgt!
Chemnitz kämpft auch in dieser Saison wieder
nur ums nackte Überleben. Durch den Wettskandal
in der letzten Saison verlor Chemnitz mit Steffen
Karl einen Leistungsträger, aber auch so kriselt
es in Chemnitz wie derzeit wohl im gesamten Ostfußball.
Die Fans kehren ihrem Verein den Rücken und das
Interesse der Stadt ist mehr als dürftig. Stattdessen
wird auch die Fanszene in der ehemaligen Karl-Marx-Stadt
immer mehr zur Zielscheibe der dortigen Presse. Dort
ist von "Hooligans" die Rede, die bei Spielen
der 2. Mannschaft randalierten, oder es wird das Persönlichkeitsrecht
beiseite gelegt und ein Foto, einer erkennbar friedlichen
Fangruppe, abgebildet.
Das "Stadion an der Gellertstraße"
ist eines von zwei Stadien in Chemnitz. Das Sportforum
steht dem Verein seit Jahren nicht mehr zur Verfügung.
Dieses würde noch ausgestorbener wirken als die
momentane Arena, die passend zum Image
der Szene direkt am Polizeipräsidium liegt.
Eigentlich müsste Chemnitz ein schlagbarer Gegner
sein. In einem Atemzug könnte dieser Verein mit
den Aufsteigern aus Leverkusen und Berlin oder dem
Mittelfeld-Team aus Münster genannt werden. Doch
die Leistungen unserer Essener, welche nicht den erwarteten
Schwung besaßen, lassen nicht unbedingt eine
Euphorie zu. Der als Topstürmer verpflichtete
Alexander Löbe, aber auch Kapitän und Kopf
der Mannschaft Ali Bilgin, laufen ihren Top-Formen
deutlich hinterher.
Gegen Münster kamen die Rot-Weissen nach der
Berlin-Schmach immerhin wieder zu einem Sieg, wenngleich
dieser wohl kaum vom Spielerischen überzeugend
war. Doch es wurde gewonnen und nur das zählt
am Ende eines jeden Spieltags.
So muss die Devise für dieses Spiel heißen:
Nachlegen!
(mn)
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