Spielbericht: 9. Spieltag | Chemnitzer FC - Rot-Weiss
Essen
Gemütlicher Nachmittag bei alten Freunden ...
...so stellte ich mir den heutigen Tag vor. (JWD veröffentlicht
heute mal bewusst einen Text aus der Ich-Perspektive).
Es ging um 5.30 Uhr los auf den Weg nach Chemnitz.
Überpünktlich um 12.00 Uhr erreichten wir
die Stadt. Zum Glück sah ich den Ultra-Bus direkt
an der Abfahrt. Da ich mir auch nach dem dritten Besuch
in Chemnitz den Weg nicht merken konnte, musste ich
dem Bus folgen. Doch auch der Busfahrer kannte offensichtlich
den Weg nicht, so dass wir erst gegen 13 Uhr am Stadion
ankamen. Die letzten 500 Meter durfte der Konvoi in
Polizeibegleitung beschreiten.
Eines mal direkt vorneweg: Der CFC ist einer der wenigen
Club im Osten, bei dem uns die Fans an den Bushaltestellen
zuwinken statt zu drohen.
Am Stadion wurden dann erstmalig (und leider auch
nicht zum einzigen Male) überforderte Polizisten
gesichtet, deren Autos und Busse Leipziger Kennzeichen
besaßen. Denn dort stiegen die Ultras aus ihrem
Bus aus und liefen in Richtung Heimblock der Chemnitzer,
was die Beamten offensichtlich beunruhigte. Daher
machte ich einen Beamten, der wohl nicht viel älter
als 25 war, darauf aufmerksam, dass es eine Fanfreundschaft
zwischen den Vereinen gibt und die Jungs dort gerne
feiern gehen würden. Fanfreundschaft? Verdutzte
Gesichter! Für die Beamten war dies scheinbar
ein neuer Begriff!
Das Stadion sah genauso aus wie bei den letzten vorangegangen
Besuchen, doch einige Unterschiede gab es dann doch:
Das Stadion wirkte ausgestorbener. Immerhin gab es
bei diesem Spiel richtige Eintrittskarten. Gegen Wattenscheid
vor zwei Jahren bekamen die Zuschauer nur Wertmarken
ausgehändigt. Die Bratwurst schmeckte übrigens
genauso mies wie damals, allerdings kontrollierten
die Ordner diesmal ungewohnt genau und konsequent,
u.a. wurde unter Beobachtung der Polizei jeder Doppelhalter
gesichtet. Ein Doppelhalter mit einer abgebildeten
Pistole durfte beispielsweise nicht mit ins Stadion
genommen werden.
30 Minuten vor dem Anpfiff betrat die Mannschaft den
Rasen. Wie immer begrüßten die Fans die
Spieler und umgekehrt. Nachwuchsnationalspieler Serkan
Calik flachste sogar mit einem führenden Kopf
der Fanszene. Berlin schien also vergessen, man war
wieder eine Familie, auch wenn sich im Stadion an
der Gellertstrasse gerade mal gut 120 Essener einfanden
- vor zwei Jahren waren es immerhin noch etwa 400
gewesen. Die Chemnitzer glänzten zunächst
mit Support-Boykott als Reaktion auf 22 kürzlich
ausgesprochene Stadionverbote, womit ein Großteil
der lokalen aktiven Fanszene aus dem Stadion verbannt
wurde.
Nach einigen Minuten des Schweigens wurden dann auch
auf Chemnitzer Seite die Fahnen gehisst und Gesänge
angestimmt. Im Gegensatz zu den letzten Auswärtsleistungen
war RWE endlich einmal wieder spielerisch eindeutig
überlegen. Nach etwas mehr als einer viertel
Stunde erreichte ein genialer Diagonal-Quer-Pass Ali
Bilgin (fälschlicherweise vom MDR-Videotext als
Ali Bilkin tituliert!!!), der die Unachtsamkeit der
kompletten Chemnitzer Hintermannschaft eiskalt ausnutzte
und freistehend zum 1:0 einnickte. Endlich wieder
ein frühes Tor auf fremdem Platz! Die mitgereisten
Fans zeigten ihre Begeisterung.
Eigentlich würden wir jetzt gerne auch über
die anderen beiden Tore schreiben und über die
Überlegenheit unserer Mannschaft, aber leider
hatte jemand im Essener Fanblock die Idee, einen -
vom Ordnungsdienst genehmigten - Doppelhalter über
den Zaun zu hängen, was fatale Folgen haben sollte.
Dummerweise enthielt dieser Doppelhalter, eine gut
ein Meter breite Fahne, die Aufschrift "A.C.A.B.".
Diese Person wusste anscheinend nicht oder nahm es
billigend in Kauf, dass diese Aufschrift in Sachsen
verboten ist.
Daraufhin gab es ein Gespräch zwischen der anwesenden
Polizei und den mitgereisten Essener Ordnern. Hier
versprachen die Ordner, den Doppelhalter in der Halbzeit
entfernen zu lassen sowie die beteiligten Personen
ausfindig zu machen. Dies reichte der Polizei allerdings
nicht, deshalb erfolgte unmittelbar nach diesen Gesprächen
ein Zugriff.
Dass dies keine gute Idee war, zeigte sich, als die
15 Beamten von unbeteiligten Fans wütend beschimpft
wurden. Es wurde ja auch schon von uns im Vorbericht
erwähnt, dass man momentan in Chemnitz etwas
Ärger mit den Ordnungskräften hat, allerdings
waren die Essener Fans bisher in Chemnitz noch nie
negativ aufgefallen, somit wäre hiermit also
alles erledigt gewesen. So aber nicht an diesem Tag!
Denn in der Zwischenzeit waren ca. 35 weitere Beamte,
alle ohne Helm und scheinbar ohne Führungskräfte,
zu ihren Kameraden gestoßen. Am Eingang sammelten
sich die Beamten. Oben auf einer Treppe beschwerten
sich die mitgereisten Zuschauer inkl. des Fanbeauftragten
sowie der Ordner vehement über das Vorgehen der
Polizei. Eine Gefährdung für Beamte oder
gar Chemnitzer Fans bestand definitiv nicht! Es waren
keinerlei offensichtliche Hooligans aus Essen mitgereist.
Dennoch sah sich die Polizei aus Leipzig nun genötigt,
noch einmal mit ca. 30 Beamten in den Block zu stürmen.
Dies wirft oder warf natürlich einige Fragen
auf: Wollte man hier noch Personen aufgreifen? Es
wurden jedenfalls keine Personen gezielt aufgegriffen.
Wollte man die Gruppe der aktiven Fans zurücktreiben?
War die Aktion kontrolliert und angeordnet? Wozu das
Alles? Jedenfalls wurden im Zuge dieses Eingriffes
überwiegend Unbeteiligte verletzt. Auf mehrere,
am Boden liegende Personen, wurde von Seiten der Polizeikräfte
eingetreten. Man prügelte auf breiter Front auf
jeden nicht Uniformierten ein, wobei auch
Titel und Ämter hier keinerlei Rolle spielten.
Auf die Frage an einen Beamten, wo denn der Einsatzleiter
oder ein Zug- oder Gruppenführer zu finden sei,
kam als Antwort: "Keine Ahnung, irgendwo draußen".
Die Antwort auf die Frage nach Dienstnummern kehren
wir an dieser Stelle mal vornehm unter den Tisch,
sonst verlieren noch mehr Leute den Glauben an den
Rechtstaat.
Es ist also vollkommen unerklärlich, warum die
Polizei noch minutenlang grundlos durch den Essener
Block wirbelte. Wir wollen sicherlich nichts Böses
unterstellen oder gar behaupten, aber man bekam als
Unbeteiligter der ganzen Situation zwangsläufig
den Eindruck vermittelt, als hätten die Beamten
geradezu ihre helle Freude an dieser Aktion! Danach
entfernten sich ca. 40 Personen aus dem Gästeblock
und wanderten, unterstützt von den draußen
wartenden Chemnitzern, in Richtung Fanhalle ab. Die
erlebnisorientierten Beamten der Hundertschaft
Leipzig folgten, jedoch bleiben weitere Eingriffe
aus. So beließen sie es beim Verfolgen und der
Positionierung von gut zehn Einsatzwagen vor dieser
Fanhalle. Mittlerweile wurde sogar die Schutzausrüstung
angelegt - die "Sportfrei-Zeit schien also
wieder der Erkenntnis gewichen zu sein, dass man doch
den Staat repräsentierte.
Es war zwar deutschlandweit bekannt, dass die Polizei
aus Leipzig gern selbst die "Aktion sucht",
aber dass es in einem Rechtsstaat so ausarten kann
ist erschreckend. Was ebenso sehr komisch war: Unser
Fanprojekt hielt sich nicht im Fanblock auf. Daher
dauerte es einige Minuten, bis von dieser Seite jemand
eingeschritten war. Ordner, ob Heim- oder Gast, sind
in Sachsens Fußballstadien überflüssig.
Sie könnten einzig Fans vor Polizisten beschützen,
denn alles andere übernehmen manche Beamte wohl
nur allzu gern.
Für die Fraktion, welche immer wieder gerne mal
Behauptungen aufstellt, alle Ossis seien pauschal
scheiße, haben wir bei der Gelegenheit auch
mal ein paar Punkte zusammengetragen, die folgendes
klarstellen soll:
1. Das gesamte Stadion stand hinter uns während
des Einsatzes der Polizei!
2 Chemnitzer Fans haben Anhänger unseres Vereins
vor weiterer Polizeiwillkür beschützt!
3. Kein einziger Chemnitzer hat auch nur ein Wort
dagegen gesagt, dass wir in deren Fanhalle gefeiert
haben!
4. Chemnitzer Fans haben nach dem Schock Freibier
für alle besorgt!
Vielleicht sollte man einige Vorurteile einfach mal
vergessen und sich an diese vier Punkte erinnern (gegen
Jena ist die ideale Chance dafür), wenn man beim
nächsten Mal "Ossi-Lieder" im Stadion
anstimmt. Denn leider sind solche Gesten eine Seltenheit.
Im Endeffekt verfolgen wir doch alle das gemeinsame
Ziel: Wir möchten unsere Mannschaften unterstützen
und die Werte des Fußballfans aufrecht halten.
Ob das alle Parteien wollen, ist mehr
als zweifelhaft. Hoffen wir, dass sich alles klärt
und die Anzahl der weitreisenden Fans durch solche
Vorfälle nicht noch weiter verringert wird.
(mn)
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Tore
0:1 Ali Bilgin (17.) / 0:2 Mike Baumann (75. / Eigentor)
/ 1:2 Thorsten Görke (90. / Foulelfmeter)
Chemnitzer FC
Süßner - Kunert, Göhlert, Baumann,
Becker - Stark (64. Vogel), Görke, Schumann (38.
Schmidt)- Homola - Mayer, Salonen (79. Jazwinski)
Rot-Weiss Essen
Maczkowiak - Bemben, Ristau, S. Lorenz, Nikol - Wehlage,
Bilgin, M. Lorenz, Haeldermans (87. Lorenzon) - Younga-Mouhani
(82. Stoppelkamp), Boskovic (64. Calik)
Gelbe Karten
Kunert, Mayer (Chemnitz) / M. Lorenz, S. Lorenz (Essen)
Schiedsrichter
Babak Rafati (Hannover)
Zuschauer
2.510
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