Spielbericht: 7. Spieltag | Hertha BSC Berlin II -
Rot-Weiss Essen
Bundeshauptstadt vs. potentielle
Kulturhauptstadt 2010
Die Überschrift verrät eigentlich
schon alles: Das Treffen der Giganten in der Regionalliga
Nord stand an diesem Wochenende auf dem Programm.
Ruhrhauptstadt Essen gegen Bundeshauptstadt Berlin
doch lassen wir das Scherzen! Mit Hertha´s
U23 wartete gestern zweifelsohne der stärkste
Amateurvertreter in Liga Drei auf unsere Helden. Aber
stopp, Amateurvereine gibt´s ja eigentlich nicht
mehr; man nennt sie ja jetzt zweite Mannschaft bzw.
in Berlin eben U23. Eine zweite Mannschaft existiert
in Essen ebenfalls, krebst aber in der Landesliga
herum. Dass Hertha trotz spielfreiem Wochenende keinen
ihrer Profis einsetzte, sollte man daher hoch anrechnen.
Eigentlich dachte man als gemeiner Fan sogar, die
Mannschaft würde nach den Samstagsresultaten
auch Kapital daraus schlagen, doch allen mitgereisten
Fans bot sich abermals eine enttäuschende Vorstellung!
Nach den zwei Gurkenspielen gegen Wuppertal und Leverkusen
die dritte Wahnsinnsvorstellung in Folge. Nimmt man
noch die zweite Halbzeit gegen Schlusslicht Oberhausen
hinzu, dann wäre man inzwischen bei dreieinhalb
Spielen. Guten Tag, Herr Neuhaus, wir wollen wieder
Fußball sehen!
Wer nach Berlin fährt und neben Fußball
auch noch den einen oder anderen Euro übrig hat,
sollte den Besuch in Deutschlands Hauptstadt mit einer
Städtetour verbinden, denn Berlin ist immerhin
die Hauptstadt unseres Landes, auch wenn viele immer
noch der Ansicht sind, dies sei Bonn. Dass am vergangenen
Wochenende zufällig die IFA, die internationale
Funkausstellung, in Berlin stattfand, interessiert
in Zeiten von Globalität und neuen Medien eigentlich
auch den einen oder anderen Fußballfan.
Nur macht die IFA aus einem guten Drei-Sterne-Hotel
mal schnell ein Hyatt mit unglaublich bescheidenen
Übernachtungspreisen! 85 € werden pro Nacht
berappt. Rechnet man noch drei Tankfüllungen
für 1,44 dazu, so hätte man für das
Geld wohl eine ganze Woche im Sheraton am Saalbau
wohnen können - aber was tut man nicht alles
für Rot-Weiss.
Nach einem Sightseeing-Samstag, als ganz normaler
Mensch geht es dann am Sonntagmorgen zum munteren
Durchfragen zum "Jahnstadion". Dass Berlin
größer ist als Essen merkt man jetzt sehr
schnell. Nicht einmal die omnipräsente Polizei
kennt diese Location. Jedoch findet man irgendwann
einen Beamten, der tatsächlich weiß, wie
man sein Funkgerät benutzt und über die
Zentrale erfährt, dass das Stadion nicht "Jahnstadion"
sondern "Jahn-Sportpark" heißt.
Es liegt unmittelbar hinter der Max-Schmeling-Halle
im bekannten Stadtteil Prenzlauer Berg. Der Jahn-Sportpark
ist ein Stadion der Mittelklasse in noch halbwegs
gutem Zustand. Sicherlich stellen wir uns nach der
letzten Saison Stadien anders vor, aber besser als
die Sportanlage in Wattenscheid ist es allemal.
Der Jahn-Sportpark wurde in den achtziger Jahren für
die Bundesjugendspiele der DDR erbaut. Unmittelbar
hinter der Gegentribüne verlief damals übrigens
die Mauer mit Todesstreifen. Die Logen für Mielke
und Honecker existieren heute noch. Ebenso verfügt
das Stadion über die wohl größte Amateur-Verein-Anzeigentafel!
Hier sieht man: dass muss die Hauptstadt sein.
Ansonsten auch hier das übliche Bild: Ordner,
Polizisten, Würstchenbuden: Rot-Weiss eben, Regionalliga
eben. Dass in Berlin scheinbar mehr Zivilbeamte und
Fanbetreuer unterwegs sind als uniformierte Kollegen
ist doch verwunderlich, warum sich jedoch die Hertha-Fanbetreuung
mehr um die Essener Fans kümmert als unsere Fanbeauftragten,
lassen wir mal unkommentiert so stehen.
Mit gut 300 Essenern finden sich pünktlich zum
Anstoß dann auch die üblichen Personen
im Gästeblock hinter dem Tor ein, die man als
Allesfahrer eigentlich auch immer überall sieht.
Man weiß nicht, wie sie heißen, was sie
machen, aber sie sind eben auch immer überall
wo RWE spielt. Die etwa 20 mitgereisten Ultras präsentieren
ein Transparent mit der Aufschrift "Kulturhauptstadt"
und eine große Blockfahne, für ein Spiel
dieser Entfernung alle Achtung!
Dass die Choreografie vom Heimverein problemlos akzeptiert
wird und dass sich auch wir Fotographen problemlos
überall bewegen können, verdient in Zeiten
von Polizeirepressalien und Chaoten-Ordnern aber genauso
viel Hochachtung. Auch hier merkt man, dass man nicht
in "Kleinkackenfenne" ist.
Doch nun zum Spiel: heute Morgen wagte man einen Blick
auf den Spielbericht der Offiziellen. Nicht schlecht
geschrieben! Nur hab ich entweder einen Sonnenstich
bekommen oder einfach ein ganz anderes Spiel gesehen.
Bis zur 15. Minute waren Essen eigentlich nicht nur
überlegen, sondern auch relativ gefährlich
im Abschluss, leider gab es jedoch unmittelbar nach
der besten Essener Chance das Hertha-Tor durch Covic.
Danach war Hertha nicht einmal mehr ernsthaft gefährlich
vor dem Essener Tor. RWE bestimmte das Mittelfeld,
jedoch kamen die ständigen Bälle unter dem
Motto "hoch - weit - irgendwo nach vorne"
nicht an. Die Hertha-Abwehrspieler haben jeden Ball
noch weit vor unseren Stürmern abgefangen. Irgendwie
erinnerte das alles an das traurige Bild eines Francis
Kioyo auf weiter Flur im vergangenen Jahr. Kick and
Rush im Jahr 2005.
Das änderte sich auch nach der Halbzeit durch
die Einwechslungen von Löbe und Kiskanc nicht.
Alexander Löbe, der im Moment aus verschiedenen
Gründen wohl den schwersten Stand bei den Fans
hat, zeigte jedoch auch in diesem Spiel wieder eine
noch deutlich schwächere Leistung als der Rest
der Mannschaft. Er erinnerte gerade in den letzten
20 Minuten eher an Achim Weber im Schlafwagon als
an den torgefährlichsten Regionalligastürmer
der letzten drei Jahre. Da muss noch einiges kommen.
Dass es dann eine von unserem Block kaum erkennbare
rote Karte in der 88. Minute gab, brauchte noch mal
kurz Schwung ins Team. Jedoch kann man in 5 Minuten
nicht mehr die verpennten 88 vorherigen Minuten aufholen.
Ein Unentschieden wäre sicherlich möglich
gewesen, aber die Hertha-Abwehr stand einfach zu sicher
für unsere harmlosen Offensivkräfte. Von
versprochener Besserung also keine Spur.
Im ganzen Spiel gab es eigentlich nicht einmal einen
wirklich richtigen Schub nach vorne und so entlädt
sich die aufgestaute Wut, begünstigt durch die
permanente Sonneneinstrahlung, bei vielen RWE-Fans
in wütenden Protesten. Dass der Ordnungsdienst
hier nicht eingegriffen hat, ist hoch anzurechnen.
Doch im Gegensatz zur letzten Saison, man denke an
Peinlichkeiten wie z.B.: das Spiel in Burghausen,
als die Mannschaft einfach verschwand, stellen sich
alle Spieler am Zaun.
Maczkowiak und Bemben wollten sich nicht unbedingt
mit Bier eindecken lassen und hielten jedoch eine
gewisse Distanz. Alex Löbe - auf dem Rasen wirkte
er eher müde und desinteressiert sowie
die Lorenz-Brüdern und ein paar andere Spieler
stellen sich ausführlich der Diskussion mit den
aufgebrachten Fans. Anscheinend sind hier wirklich,
wie Trainer Neuhaus gerne mal im Interview erklärt,
große Charaktere in der Mannschaft.
Sicherlich ist man immer enttäuscht, gerade wenn
man zu einem Amateurverein in einem mittelklassigen
Stadion ohne Heimfans fährt! Sicherlich hat die
Mannschaft nach Wuppertal und den Amateuren von Bayer
Leverkusen den dritten Offenbarungseid nach einander
abgeliefert, aber noch immer steht man auf Platz 5
der Tabelle. So sind einige Äußerungen
wie "Sonnenbank-Löbe", "Neuhaus
raus" oder das spöttische "So ein Tag,
so wunderschön wie heute" für jawattdenn.de
einfach nicht nachvollziehbar.
Ebenso das Werfen von Bierbechern! Auch so was sollte
eigentlich jeder halbwegs intelligente Mensch unterlassen
oder zumindest wissen, dass es dem Verein eher schadet,
die 20.000 € Geldstrafe lassen grüßen.
Jetzt bleibt nur, nach vorne zu schauen und zu hoffen,
dass dies schon das Tief der Saison ist, welches jedes
Team einmal durchläuft. Hoffen wir, dass gegen
das Bauernvolk aus Münster die Zeiten der Aufstiegssaison
2003/2004 wieder anbrechen! Auf gehts!
Eine Randnotiz: die befürchtet erwarteten Hooligans
von Dynamo Berlin, welcher immerhin im Jahnpark früher
seine Spiele austrug, sowie Problemfans von Hertha
BSC wurden weder vor noch nach dem Spiel in irgendeiner
Weise gesichtet. Vielleicht lag es am gut organisierten
Einsatz der Polizei, vielleicht auch einfach am Desinteresse
an unserem Anhang
Hauptstadt eben
Regionalliga
eben ...
(mn)
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Tore
1:0 Ante Covic (15.)
Hertha BSC Berlin
Pellatz - Krecidlo, Samba, Wallschläger (46.
R. Müller), Bieler - A. Schmidt, Chahed - Ede
(58. Thomas), Hoeneß, Ebert - Covic (81. Hube)
Rot-Weiss Essen
Maczkowiak - Bemben, Lorenzon, S. Lorenz, Nikol -
Wehlage, M. Lorenz, Bilgin (72. Stoppelkamp), Haeldermans
(46. Kiskanc) - Younga-Mouhani, Boskovic (46. Löbe)
Gelbe Karten
Samba (Berlin) / Bemben, Kiskanc, Wehlage (Essen)
Rote Karten
Chahed (Berlin / 88.) wegen einer Tätlichkeit
Schiedsrichter
Schempershauwe (Hildesheim)
Zuschauer
933
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