Spielbericht: 36. Spieltag | Hamburger SV II - Rot-Weiss
Essen
Erleichterung
Er war beinahe hörbar, der Stein, der den
mitgereisten RWE Fans nach dem Abpfiff von Schiedsrichter
Henschel in der AOL-Arena in Hamburg vom Herzen fiel.
Rot-Weiss Essen schaffte es, einen 0:2-Rückstand
zu einem 4:3-Erfolg umzudrehen und macht damit nach
zwei sieglosen Spielen einen großen Schritt
in Richtung Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Hätte
man diesen Spielausgang einem Essener Anhänger
zur Halbzeitpause prophezeit, wäre dieser in
schallendes Gelächter ausgebrochen.
Uwe Neuhaus zog Konsequenzen aus dem Kölnspiel
und stellte die Mannschaft um. Kapitän Ali Bilgin
verlor seinen Platz in der Startaufstellung ebenso
wie Tim Gorschlüter. Den Langzeitverletzten Arie
van Lent ersetzte Alexander Löbe. Im Mittelfeld
spielten Michael Bemben auf der rechten und Haeldermans
auf der linken Außenbahn, in der Zentrale rückte
Mac Younga-Mouhani wieder auf die Position vor Lorenzon.
Die Verteidigung vor Torwart Maczkowiak bildeten die
Lorenzbrüder, Stefulj sollte auf der linken und
Florian Thorwart auf der rechten Seite agieren. Letzterer
erwischte an diesem Mittwoch erneut keinen guten Tag.
Überraschend stand auf Hamburger Seite Mustafa
Kucukovic in der Startformation. Im Hinblick darauf,
dass die Zweitvertretungen in den letzten vier Spielen
ihre Profis nicht mehr einsetzen dürfen und Kucukovic
bereits Einsatzzeiten im UEFA-Cup verbuchen konnte,
erschien ein Einsatz von ihm kaum möglich. Dieser
setzte auch mit dem Rest seines Teams Ausrufezeichen
in der Anfangsphase. Bis zum frühen Treffer in
der neunten Minute durch ebenjenen Kucukovic standen
die Hamburger mehrere Male alleine vor dem Essener
Tor. Gerade Thorwart wirkte in seiner neuen Außenverteidigerrolle
mehr als überfordert, wurde immer wieder überrannt
und ließ durch seine Fehler immer wieder gefährliche
Angriffe zu. Aber auch Michael Lorenz und sogar seinem
sonst sicheren Bruder Stefan unterlief der ein oder
andere Abwehrfehler.
So war der erste Treffer schon nach kaum zehn Minuten
mehr als überfällig. Florian Thorwart wurde
ein weiteres Mal überlaufen und die Flanke wurde
glänzend auf den sträflich freistehenden
Hennings geschlagen. Seinen Kopfball parierte Maczkowiak
noch hervorragend, aber auch Michael Lorenz setzte
nicht schnell genug nach und so konnte Kucukovic ungestört
abstauben. Weitere neun Minuten später zappelte
der Ball wieder im Essener Netz. Hamburgs Adewunmi
versetzte Michael Lorenz im Strafraum und schob den
Ball aus spitzem Winkel durch die Beine von Maczkowiak.
Damit schien das Spiel gelaufen zu sein. Die Hamburger
zogen sich in die eigene Hälfte zurück und
die Essener verstanden es nicht, dies in eine Druckphase
umzuwandeln. Die Offensive wirkte schwach und ideenlos.
Gerade Younga-Mouhani war zwar bemüht, aber denkbar
uneffektiv. Der Halbzeitpfiff wirkte schon fast erlösend
für Anhang und Mannschaft.
Was sich den gut 400 mitgereisten Fans aus Essen in
der zweiten Halbzeit bot, übertraf alle Erwartungen.
Uwe Neuhaus wechselte in der Pause zweimal aus, indem
er Kiskanc für Stefulj brachte. Für den
enttäuschenden Younga-Mouhani betrat Wehlage
den Platz. Und er kam, traf und siegte. Sofort riss
er das Spiel an sich, Hamburg wurde endlich unter
Druck gesetzt. Schon fünf Minuten nach Anpfiff
schoss Wehlage auf das leere Tor und Karim Guédé
wusste sich nicht anders zu helfen, als den Ball mit
der Hand von der Linie zu kratzen, was als Abwehrspieler
eine rote Karte und einen Elfmeter für den Gegner
nach sich zieht. Diesen verwandelte Bemben zuerst
nicht, doch konnte er im Nachschuss den Ball im Tor
unterbringen.
Eine knappe Viertelstunde später setzte sich
Bemben, der sehr stark spielte, auf der rechten Seite
durch und legte flach auf Wehlage ab. Dieser zog aus
elf Metern ab und setzte den Ball erbarmungslos unter
die Latte des Hamburger Tores. Dieses Traumtor krönte
seine großartige Leistung. Schon drei Minuten
später hätte Boskovic freistehend zur Führung
treffen können, aber der Torwart parierte erstklassig.
In der 71. Spielminute ging RWE dann verdient in Führung.
Die Zuschauer fragten sich mittlerweile, ob die Hamburger
Mannschaft nicht aus der Handballsparte des HSV rekrutiert
wurde, denn eine Flanke von Stefan Lorenz wurde wieder
von einem Hamburger Abwehrspieler mit der Hand aufgehalten.
Der Schiedsrichter beließ es bei dem fälligen
Elfmeter, den Lorenzon sicher verwandelte.
Der Jubel war noch gar nicht richtig verebbt, da war
auch schon der nächste Torschrei auf den Lippen
der RWE-Fans. Wieder setzte sich Bemben auf der rechten
Seite durch und passte auf Lorenzon, der wiederum
auf Alex Löbe ablegte. Dieser verwandelte eiskalt.
Löbe war schon bis zum Start der neuen Saison
abgeschrieben, hatte sich zur Verwunderung aller noch
vor Saisonende wieder in Wettkampfform gekämpft
und konnte an diesem Abend ein weiteres Tor beisteuern.
Das setzte in Löbe riesige Emotionen frei und
deswegen riss er sich das Trikot vom Leib und kletterte
zu den mitgereisten Fans auf den Zaun, wo er frenetisch
gefeiert wurde. Danach lief er zurück auf das
Spielfeld um sich die obligatorische gelbe Karte abzuholen
und staunte, als er, ohne vorbelastet zu sein, Gelb-Rot
sah. Der bis dahin gute Schiedsrichter reagierte hier
überhart, indem er das Trikotausziehen und das
auf-den-Zaun-klettern mit jeweils einer
Gelben und demzufolge insgesamt mit dem Platzverweis
bedachte. Gerade, weil er einige Hamburger Disziplinlosigkeiten
nicht mit gelb bestrafte wirkt diese Entscheidung
durchaus regelkonform, aber unsportlich gegenüber
Alex Löbe, den RWE schmerzlich beim St. Pauli-Spiel
vermissen wird.
Das Spiel war nun gelaufen und Essen schonte seine
Kräfte. Dabei setzte Thorwart einen negativen
Höhepunkt seiner Leistung, da er unbedrängt
fast in das eigene Tor köpfte. Glücklicherweise
war Maczkowiak zur Stelle. Nicht nur die ungewohnte
Position in der ersten Halbzeit ist schuld daran,
dass Thorwart eine ungenügende Leistung bot und
sich in der nächsten Startelf mit Sicherheit
nicht wieder finden wird. Den Anschluss erzielten
die Hamburger dennoch vier Minuten vor Schluss, aber
kamen danach nicht mehr gefährlich vor das Essener
Tor.
Nach diesem Sieg steigt der Druck auf die Gegner im
Aufstiegskampf immens. Interessant wird es sein, wer
diesem in den nächsten beiden Spielen standhalten
kann. Die Leistung in der ersten Halbzeit war inakzeptabel,
doch tritt man in den Restwochen der Saison so auf,
wie in der zweiten Halbzeit, so verliert man kein
Spiel mehr. Holger Wehlage wird am Samstag gesetzt
sein und in Zusammenspiel mit einer großen Kulisse
hoffentlich den Sieg auch ohne van Lent und Löbe
erzwingen. Wenn dies gelingt, ist der Aufstieg den
Essenern kaum mehr zu nehmen.
(hs)
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Tore
1:0 Kucukovic (9.) / 2:0 Adewunmi (18.) / 2:1 Bemben
(51.) / 2:2 Wehlage (62.) / 2:3 Lorenzon (69. / Handelfmeter)
/ 2:4 Löbe (71.) / 3:4 Hennings (85.)
Hamburger SV II
Hesl - Leschinski, Gouhari, Lauser, Guédé
- Karl, Feilhaber (83. Proschwitz), Ben-Hatira (56.
Zott), Adewunmi - Kucukovic (71. Petersen), Hennings
Rot-Weiss Essen
Maczkowiak - Bemben, Thorwart, S. Lorenz, Stefulj
(46. Kiskanc) - Lorenzon - Younga-Mouhani (46. Wehlage),
M. Lorenz, Haeldermans (83. Bilgin) - Boskovic, Löbe
Gelbe Karten
Leschinski, Hennings, Gouhari (Hamburg) / Haeldermans
(Essen)
Gelb-rote Karten
Löbe (Essen)
Rote Karten
Guede (Hamburg)
Schiedsrichter
Holger Henschel
Zuschauer
859
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