Spielbericht: 35. Spieltag | Rot-Weiss Essen - FC
St. Pauli
Ist der Drops nun gelutscht,
der Fisch gegessen, die Messe gelesen oder der
Apfel gar schon geschält? Ist RWE nun wieder
aufgestiegen? Theoretisch natürlich noch nicht,
denn weder Kiel noch Lübeck verloren ihre Spiele,
die Voraussetzung für den 100%-igen ganz sicheren
Aufstieg wurden also von der Konkurrenz nicht erfüllt.
Dennoch kann man sagen, RWE gelang mit dem 2:0 (2:0)
Erfolg über den FC St. Pauli ein Meilenstein
auf dem direkten Weg zurück ins Fußball-Unterhaus.
So sahen es wohl auch die meisten der gut 18.000 Fans,
sofern sie rot-weissen Glaubens waren. Symbolisch
dafür eine Szene aus der 87. Minute. Essens Kapitän
Ali Bilgin verlässt unter Ovationen den Rasen
und macht, von der Nord dazu aufgefordert, von der
Seitenlinie aus die Welle mit den Anhängern.
Überheblichkeit? Nein, eher die Freude und Erleichterung
darüber, dass den Rot-Weissen nur noch theoretisch
Stolpersteine im Weg liegen. Bei der Konstellation
der nächsten Woche könnte es ein verhältnismäßig
"stiller und leiser" Aufstieg werden.
Denn RWE kann sich dann zurücklehnen, da sie
bereits am Mittwoch das vorgezogene Herzkasper-Match
in Hamburg bei den Amateuren des HSV mit 4:3 für
sich entschieden haben. Die Konkurrenz hingegen könnte
erneut patzen und Essen so den Aufstieg bescheren.
Im Raum steht auch nach wie vor ein Lizenzent- oder
Punktabzug für den VFB Lübeck, der in der
kommenden Woche verhandelt werden soll. Im Moment
sind die Marzipanstädter überraschend wieder
der härteste Verfolger auf die Aufstiegsplätze.
Doch heraus aus der grauen Theorie, hinein in den
bunten Fußballtempel Hafenstraße, der
ein prächtiges Bild bot. Einem Aufruf der Ultras
Essen folgend, hatten Anhänger ihre Keller durchsucht
und jeder, der noch ein rot-weisses Fähnchen
sein Eigen nennen konnte, präsentierte dieses.
Nord und Ost erstrahlten in rot-weisser Farbenpracht
und sorgten, untermalt von erwartungsfreudigen Gesängen
schon vor dem Anpfiff, für Gänsehautatmosphäre,
die beim Einlauf der Mannschaften noch gesteigert
wurde. Nach Arie van Lents Bandscheibengeschichte
und Alex Löbes Zaunköniginterpretation war
die bange Frage, wer denn nun die Buden machen solle?
Aber wohl dem, der solche Mittelfeldspieler hat.
In eben diesem Mittelfeld liefen Ali Bilgin und Stijn
Haeldermans wieder gemeinsam auf, nachdem sie in Köln
zusammen mit Tim Gorschlüter wenig überzeugten
und in Hamburg der Belgier den Vorzug vor dem Deutsch-Türken
erhielt. Dieses Mal sollte es aber passen. Unterstützt
wurden die Beiden von Anfang an von Rechtsaußen
Holger Wehlage, der in Hamburg den Umschwung gebracht
hatte.
Zunächst gab es nach dem Anpfiff noch eine recht
turbulente Anfangsphase und beide Teams hatten eine
Reihe von Standards, die aber weder hüben noch
drüben für echte Gefahr sorgen konnten.
Dann die 17. Minute. Michael Lorenz, der den grippegeschwächten
Defensivstrategen Victor-Hugo Lorenzon vertrat, eroberte
sich die Lederkugel, welche Ali Bilgin an sich nahm
und Richtung Strafraum stürmte, von wo aus er
den genau richtigen Moment abpasste, um Holger Wehlage,
Symbol der wiedergefundenen Form des Tabellenführers,
zu finden. Dieser knallte den Ball flach und scharf
ins vom Schützen aus gesehene linke Toreck.
1:0 für RWE und Party Teil 1. Endlich mal wieder
eine 1:0-Führung, auf die in der laufenden Saison
stets ein Sieg folgte
Derartig angestachelt sah das enervierende Publikum
nun die stärkste Phase des gesamten Spiels.
Pauli, das stark ersatzgeschwächt antrat und
u.a. auf Thomas Meggle und Jens Scharping verzichten
musste, wehrte sich nach Kräften, mehr als ein
Schuss von Ansorge, der am Kasten von Andre Maczkowiak
vorbeistrich, gab es aber nicht zu bestaunen. Auch
ein Verdienst der diesmal wieder sattelfesten Abwehr,
aus der Stefan Lorenz herausragte und keinen einzigen
Zweikampf verlor. Auch Florian Thorwart riss sich
am Riemen und der blonde Engel der Kiez-Kicker, Pokalheld
Felix Luz, konnte am heutigen Samstag keine weiteren
Bewerbungsschreiben Richtung höherklassige Vereine
verfassen.
Wohl aber konnte der Gastgeber seine Aufstiegsambitionen
weiter untermauern, und zwar eindrucksvoll. Stijn
Haeldermans narrte zwei Paulianer und passte in die
Gasse zu Michael Bemben. Der Ex-Bochumer, der seit
der Rückkehr von Holger Wehlage auf seine Seite
wie aufgeblüht wirkt und wieder an seine Galaform
vom Saisonbeginn erinnert, schlug eine Traumflanke,
welche Ali Bilgin mit den Kapitänslocken in den
Kasten beförderte. 2:0, Party Teil 2. Bis zur
Pause powerten die Essener weiter, verpassten aber
die Vorentscheidung. Tosender Applaus geleitete die
Neuhauslinge zum Pausentee.
Die Geschichte von Halbzeit 2 ist schnell erzählt,
das Wort Sommerfußball trifft es wohl am ehesten.
RWE, wohlwissend dass ein Sieg Aufstiegsgold wert
sein könnte und ist, verlegte sich auf Ergebnisverwaltung,
St. Pauli bot eine Allegorie der Harmlosigkeit, wobei
lediglich der kleine Mittelfeldrenner Shubitidze hier
und da Klasse erkennen ließ. Essen hatte noch
Chancen durch Bilgin und Boskovic, der zwar für
zwei rackerte, aber blass blieb. Auf den Rängen
vertrieb man sich die Zeit mit ein wenig bierseligem
Schunkeln oder der Humba.
So blies dann der von zwei fairen Teams wenig geforderte
Schiri Michael Weiner ziemlich pünktlich in seine
Pfeife und gönnte Essens Mannschaft und ihren
Anhängern die Party Teil 3. In Zeiten modernster
Kommunikationstechnologien war aber bereits rum, dass
Lübeck 4:1 in Chemnitz siegte und Jena durch
das 2:0 über Emden wohl ebenfalls den Aufstiegsexpress
besteigen wird. Während Fans und Mannschaft gemeinsam
die Welle machten und Erstere das dann mit dem nun
plötzlich heiß geliebtem Übungsleiter
nochmals zelebrierten, sah man aber Nico Schäfer
noch mit geballten Fäusten über den Platz
stürmen. Schluss also in Kiel, die Störche
und Erfurt trennten sich 0:0 und die Sprottenesser
spielen nun kaum noch eine ernst zu nehmende Rolle.
Fazit, der Aufstieg ist zunächst vertagt, aber
ganz bestimmt nicht aufgehoben. Fraglich erscheint
nur noch, ob das Georg-Melches-Stadion, das ganz sicher
wieder fahnengeschmückt erscheint, im letzten
Heimspiel gegen die Amateure des SV Werder Bremen
nur noch Schauplatz eines feierseligen Schaulaufens
werden wird, weil die Konkurrenten die Rot-Weissen
schon zuvor in Liga zwei gehievt haben, oder ob noch
relevante Siegesmeriten eingefahren werden müssen.
Letzteres wäre vielleicht sogar schöner,
vorausgesetzt, die Essener verwandeln dann den Aufstiegs-Elfer
ohne Torwart, sprich nutzen die Riesenchance. Und
dann ist es an den Fans, den "Allez"-Rekord
des letzten Males zu brechen. Einen Spielverderber
weniger gibt es dafür schon. Herr Uhlenbroich
weilt ja nicht mehr bei RWE.
Glück auf, wir steigen wieder auf!
(sm)
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Tore
1:0 Holger Wehlage (18.) / 2:0 Ali Bilgin (29.)
Rot-Weiss Essen
Maczkowiak - Bemben, Thorwart, S. Lorenz, Stefulj
- Bilgin (86. Gorschlüter), Haeldermans, M. Lorenz
- Wehlage (80. Özbek), Boskovic, Kiskanc (72.
Calik)
FC St. Pauli
Pliquett - Lechner, Morena, Palikuca, Adrion - Tornieporth,
Boll, Ansorge (68. Wojcik), Mazingu-Dinzey - Luz (68.
Oduro-Oponi), Shubitidze
Schiedsrichter
Michael Weiner
Zuschauer
18.089
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