Spielbericht: 16. Spieltag | FC St. Pauli - Rot-Weiss
Essen
Ein Zug nach Nirgendwo
Wie viel Geduld muss ein Fan haben, so darf man
nach einem der schlechtesten Spiele unserer Rot-Weissen
seit langem fragen. Eine Antwort darauf gibt es nicht,
nicht hier und auch sonst nirgendwo.
Mit 0:3 verliert RWE bei dem Gipfeltreffen in Hamburg.
Zum Spiel kann und will eigentlich nicht viel berichtet
werden, aus mehreren Gründen. Einmal sah der
Gästefan in diesem maroden Stadion kaum etwas,
wenngleich die Gegentore allesamt auf seiner Tribünenseite
fielen, zum Anderen die Tatsache, dass der Frust enorm
groß ist, lässt den Spielbericht eher mühsam
und kurz ausfallen, denn alles andere verbietet die
versprochene Objektivität bei Berichten vom Spielgeschehen.
Doch etwas frührer angefangen. Um ca. 4.30 Uhr
trafen sich bereits die ersten Fans am Essener Hauptbahnhof,
um die Reise nach St. Pauli anzutreten. Eigentlich
waren es nicht die ersten, befanden sich schon einige
am Freitag auf dem Weg nach Hamburg um das Tor
zur Welt zu erkunden. In Gesprächen im
Zug und an den Bahnhöfen, die wohl demnächst
die Öffnungszeiten amerikanischer Fast-Food-Läden
um den frühen Samstagmorgen reduzieren werden,
gab es nur ein Thema: Wie würde die Mannschaft
in St. Pauli auftreten?
Eines war allen klar. St. Pauli wird versuchen zu
gewinnen. Mit einem Spiel weniger, hatten sie bis
dato einen Punkt weniger als RWE erwirtschaften können.
Somit war den Fans der Essener klar, dass sie nicht
auf eine Abwehrmauer treffen würden, wie noch
in den Spielen in Wattenscheid oder gegen Köln,
sondern dass wohl ein offensiv eingestellter Gegner
zu erwarten ist. Scheinbar einzig unbekannt war die
Spielstärke der Hansestädter, die gegen
Jena zu Hause verloren, dann aber Bochum mit einem
4:0 im Pokal nach Hause schickten.
Nach mehr als einem Jahr hieß es dann wieder
Stadionsuchen inmitten von St. Pauli.
Das Stadion, von vielen als eines der britischsten
in Deutschland angesehen, kann man als solches nur
bedingt bezeichnen. Der Auswärtsblock ist hinter
dem Tor, was eine gute Probe für die Fans, die
das Experiment Ost-Tribüne an der Hafenstraße
unterstützen werden, sein konnte. Die Sicht,
wie schon angeschnitten ist miserabel und Holzbänke
auf der Haupttribüne gibt es eben nicht nur,
wie so oft behauptet, in Essen. Doch immerhin hat
dieses Stadion mit 20.000 Plätzen, etwas traditionelles,
etwas was zu diesem Kult-Club passt, anders
als z.B. in unserer Landeshauptstadt. Zu kritisieren
bleibt dennoch, dass für die gut 2.000 Ticketbesitzer
aus dem Vorverkauf, nur ein Ordner zur Verfügung
stand, der dann alle Besucher gründlichst untersuchte.
Genial, äußerst spektakulär und vielleicht
einmalig in Deutschland, die Geste kurz vor Spielbeginn,
als der Stadionsprecher nicht nur die Gästehymne
anpries und den Lebenslauf von Ihrer Sängerin
Siw Malmkvist preisgab, sondern diese auch abspielte.
Wenn schon kein Nur der RWE nach dem Schreck
vom Niederrhein durchs Stadion schallt, erreicht
der Zuschauer spätestens durch diese eine Gänsehaut.
Auch ansonsten wurden die Helden vom Köln-Spiel
freundlich begrüßt und großzügig
durch weitere Fangesänge motiviert.
Pünktlich um 14 Uhr pfiff Dr. Wack das Spiel
vor ca. 19.000 Zuschauer an. Nach einer fünfminütigen
Vorstellung aller Geburtstagskinder und unzähliger
Rocksongs war es endlich soweit. Das Resümee
nach 45 Minuten: Eigentlich hätte er die erste
Halbzeit gar nicht anpfeifen brauchen, so schwach,
so unsicher agierten beide Aufstiegskandidaten. Die
40 Zuschauer aus Dänemark, die auf St. Pauli-Seite
begrüßt wurden, hatten sicherlich mehr
als nur jeweils eine Torchance auf beiden Seiten erwartet.
Erwähnenswert ist nur die gelbe Karte gegen Alexander
Löbe, als er nach einem guten Angriff der Essener
den Torhüter anstelle des Balles mit gestrecktem
Fuß traf. Im Anschluss dieser Szene versuchten
die Spieler von FC St. Pauli alles, um Löbe noch
vor der Pause zur roten Karte zu provozieren. Doch
der gute Schiedsrichter machte alles richtig, so dass
es mit elf Spielern in die Pause ging.
Kurios allerdings ist nicht nur die Tatsache, dass
die Spieler von St. Pauli mehrere Minuten auf das
Schiedsrichtergespann und die Mannschaft von RWE warten
mussten, sondern auch der Auftakt der Heimmannschaft.
Gerade mal eine Minute war gespielt, als Mazingu-Dinzey
einen guten Angriff mit dem 1:0 beendete. Mehrere
Fehler waren der Grund für diesen Rückschlag.
Erst schlief Außenverteidiger Nikol, der abermals
nicht richtig in den Zweikampf ging und somit die
Flanke nicht verhindern konnte - dann die Innenverteidigung,
die Mazingu-Dinzey allein zum Schuss aus fünf
Metern kommen ließ.
Im Nachhinein kann der durch eine weitere Niederlage
schlauer gewordene Fan von RWE nicht mehr von einem
Rückschlag, sondern vielmehr von einem Genickbruch
reden. Nicht nur dass die Essener im Anschluss daran
die Verunsicherung nicht mehr ablegen konnten, der
Gastgeber spielte nun auch noch befreit und selbstsicher
auf. Technisch sicherlich nicht überlegen nutzten
sie nun aber das Übergewicht im Zweikampfverhalten
und die Schwächen bei RWE vor allen Dingen auf
der linken Verteidigerseite.
10 Minuten nach dem Führungstreffer gelang ihnen
schließlich auch die Entscheidung in diesem
Spiel. Fabian Boll gelang per Flugkopfball dieser
Treffer, der einfach alles aufdeckte, was nicht stimmte.
Erst passt Haeldermans äußerst leichtsinnig
den vorher gewonnen Ball in die Füße eines
gegnerischen Spielers, dann entscheiden sich die Stürmer
von St. Pauli richtigerweise für einen Angriff
über die Nikol-Seite und nachdem dieser mit einer
Leichtigkeit überspielt wurde, die seine gestrige
Leistung krönte und bestätigte, schafften
es die Innenverteidiger mit freundlicher Unterstützung
von Dirk Langerbein nicht, den Ball aus dem Fünfmeterraum
zu entfernen, bevor Boll an diesem gelangte.
Die bis dahin mit Schlachtrufen unterstützenden
RWE-Fans stellten augenblicklich das Supporten der
Mannschaft ein. Nach einer kurzen Zeit des Nachdenkens
und des Schockes, schallte es Neuhaus raus!
durchs Stadion. Gerade die Tatsache, dass diese Rufe
nicht direkt im Anschluss des Treffers fielen, sondern
in einer Situation, als Bemben einen unnötigen
Rückpass auf Langerbein spielte, welcher den
Ball dann ins Aus schoss, zeigt, dass es nicht nur
eine Trotzreaktion auf die beiden Treffer war. Vielmehr
war es der gesamte Frust, über Spieltage, an
denen RWE einfach nicht überzeugen konnte, die
gesamte Enttäuschung darüber, dass der Einsatz
der Fans trotz einer schwierigen Situation mit den
Faktoren Abstieg und Blocktrennung mit
einem derartigen Auftreten nicht honoriert wurde und
das immer mehr zur Gewissheit werdende Gefühl,
dass auf dem Platz keine Mannschaft, sondern viele
Einzelspieler stehen.
Denn wer nach 56 Minuten in einem Spitzenspiel mit
0:2 zurückliegt, der sollte mit einer Spitzenmannschaft
noch ins Spiel zurückfinden. Leider so nicht
an diesem Tag. Wie schon gegen Kiel und Lübeck
waren die Essener in vielen Situationen überfordert.
Außerdem kamen auch keine Impulse von Außen.
Uwe Neuhaus wechselte einen schwachen Holger Wehlage
aus, der allerdings um einiges besser spielte, als
manch ein anderer auf dem Platz. Außerdem wurde
er durch Stoppelkamp ersetzt, welcher nicht ein Appell
an die Mannschaft darstellt, alles versuchen zu wollen.
Bleibt zu Fragen, warum nicht Calik oder Boskovic
eingewechselt wurden, die gegen Wattenscheid einen
großen Anteil am Punktgewinn hatten und auch
der Offensive vielleicht mehr Impulse hätten
geben können. Dies ist nun rein spekulativ. Tatsache
ist, dass in der 90. Minute das 0:3 nach einem sehr
schnell vorgetragenem Konter fiel. Drei Minuten zuvor
brachte Uwe Neuhaus mit Boskovic einen Stürmer
und setzte somit viel zu Spät alles auf eine
Karte.
Zum Glück war nach diesem 0:3 Schluss. Viele
der 2.600 mitgereisten Essener Zuschauer hatten bereits
das Stadion verlassen. Andere standen versteinert
dar und fraßen den Frust in sich hinein. Die
meisten allerdings verabschiedeten die Mannschaft,
die nahezu geschlossen an die Tribüne kam und
einen flüchtenden Trainer Neuhaus mit Gesängen
wie Neuhaus raus! oder Wir haben
die Schnauze voll!. Lobenswert, dass sich einige
Spieler nach diesem Grottenspiel der Fanmasse stellten.
Allerdings hätte man einen solchen Einsatz für
die Fans besser vorher auf dem Platz gesehen.
(tp)
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Tore
1:0 Michel Mazingu (46.) / 2:0 Fabian Boll (57.) /
3:0 Felix Luz (89.)
FC St. Pauli
Hollerieth - Lechner, Morena, Gunesch, Joy - Boll
(83. Palikuca), Schultz, H. Brückner - Arifi
(89. Sulentic), Mazingu-Dinzey (72. Shubitidse) -
Luz
Rot-Weiss Essen
Langerbein - Bemben, Ristau (84. Boskovic), S. Lorenz,
Nikol - Wehlage (58. Stoppelkamp), M. Lorenz, Haeldermans,
Kiskanc - Löbe, Younga-Mouhani
Gelbe Karten
Joy, Morena (FC St. Pauli) / Löbe, Langerbein
(Essen)
Schiedsrichter
Franz-Xaver Wack
Zuschauer
18.773
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