08.11.2006 - Kommentar zur Neuhaus Entlassung
Neuhaus ist weg die richtige Entscheidung?
Die Situation, dass ihm das Wasser bis zum Hals
steht, war für Uwe Neuhaus nicht neu. Schon vor
Jahresfrist stand er (zumindest unter Teilen der Fans)
auf der Abschussliste. Der Vorstand ist jedoch ruhig
geblieben und hat Neuhaus den Rücken gestärkt
- die richtige Entscheidung, wie es sich schon schnell
herausstellen sollte.
Was ist also diesmal anders gelaufen? Warum erfolgte
im Gegensatz zur Vorsaison der Trainerrauswurf? Die
Begründung, der Vorstand habe aus der letzten
Zweitligasaison gelernt (damals wurde auf Biegen und
Brechen an Gelsdorf festgehalten), berührt sicherlich
nur die Oberfläche einer keineswegs monokausalen
Entscheidung. Der Vergleich zur Vorsaison hinkt dabei
auch gewaltig.
Der Versuch einer Analyse aus der Sicht eines Außenstehenden:
- Die schwachen Spiele der Vorsaison blieben Einzeltaten.
Beschämenden Auswärtsauftritten wie in Berlin
oder St. Pauli folgten Heimsiege. Die Lübeck-Pleite
am 2. Spieltag blieb die einzige Blöße,
die man sich in der Hinrunde an der Hafenstraße
gab.
- Neuhaus musste in der vergangenen Saison eine komplett
neue Mannschaft zusammenwachsen lassen. Dass in der
Hinrunde noch nicht alles glatt laufen
konnte, war durchaus vorauszusehen. Nach dem Aufstieg
hatte er aber die scheinbar deutlich leichter zu bewerkstelligende
Aufgabe, den eingespielten Aufstiegskader, der neben
Bilgin keinen weiteren Leistungsträger verloren
hatte, sinnvoll zu verstärken. Das ist ihm, so
scheint es derzeit,
nicht gelungen. Baustellen, die schon in der Regionalliga
offensichtlich waren (Wehlages Ausfall gegen Ende
der Saison hatte sich bezüglich unseres Flügelspiels
deutlich bemerkbar gemacht), wurden in der Sommerpause
ignoriert. Auf der Torwart- und den Defensivpositionen
sicherte man sich dagegen gleich mehrfach ab. Vier
Torhüter und drei linke Verteidiger stehen auf
der Essener Gehaltsliste, die Erwin-Koen-Position
im linken Mittelfeld ist dagegen mit Kiskanc nur einfach
und qualitativ nicht ausreichend besetzt.
- Neuhaus hatte vor einem Jahr schnell eine Stammelf
gefunden, der er das Vertrauen schenkte, auch nach
schwachen Spielen. Dieses Vertrauen genoß zuletzt
kaum ein Spieler. Nach dem 2:2 gegen Paderborn wurde
das Team mehrfach völlig umgekrempelt. Man hatte
das Gefühl, die Saisonvorbereitung mit Testspielen
hätte gerade erst begonnen. Dazu gesellten sich
nicht nachvollziehbare taktische Ausrichtungen: so
mussten zum Beispiel van Lent und Löbe gegen
Frankfurt als die wohl langsamsten Konterstürmer
der Liga agieren; gleichzeitig wurden dem Mittelfeld
sämtliche Kreativspieler entzogen. Jungen Spielern
wie Özbek oder Calik kann man sicherlich die
geringsten Vorwürfe machen, warum diese aber
ausgerechnet in Krisensituationen eingesetzt werden,
ist kaum nachvollziehbar. Von ihnen kann man wahrlich
noch nicht erwarten, in solchen Phasen entscheidende
Impulse zu setzen. Ein- und Auswechslungen, die jeder
Logik des einfachen Fans entbehren, sind dabei nur
ein Tropfen auf dem heißen Stein.
- Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Verhältnis
zwischen Trainer und einigen Spielern nicht mehr das
beste war. So saßen gegen Koblenz mit Zaza,
Hysky, Grammozis und Haeldermans gleich
vier als Leitungsträger eingeplante Spieler auf
der Bank, mit Paulo Sergio fehlte noch ein weiterer
potenzieller Eckpfeiler verletzungsbedingt. Dass es
der Startelf auch an Qualität mangelte, ist somit
kaum überraschend, zumal weitere Stammspieler
seit Wochen weit unter ihren - hoffentlich noch vorhandenen
- Möglichkeiten spielen (Bemben, Löbe).
Besonders kurios ist die Entwicklung von Kiskanc:
Innerhalb von vier Wochen rotierte er von der Tribüne
in die Startelf, um von dort wieder über die
Ersatzbank auf die Tribüne gesetzt zu werden.
Ist es also nur Zufall oder eine reine Kopfsache,
dass dermaßen viele Spieler zur Zeit völlig
neben sich stehen?
Es sind nur Spekulationen, aber den Rücken stärkt
man seinen Spielern mit dauernden Wechselspielchen
sicherlich nicht. Es war bezeichnend, dass selbst
die zweifellos als Volltreffer zu bezeichnenden
Neueinkäufe Kläsener und Bieler in München
für die beiden Gegentore verantwortlich zeichneten...
Die Entlassung von Neuhaus scheint also die in unserer
Situation einzig richtige Entscheidung gewesen zu
sein. Es sprach viel mehr gegen Neuhaus als nach dem
St.Pauli-Spiel. Ob sich damit das Blatt wieder zu
unseren Gunsten wendet, lässt sich natürlich
nicht mit Sicherheit voraussagen. Es bleibt die Hoffnung
auf den Neue-Besen-Effekt. Mehr Potenzial
als zuletzt gezeigt hat die Mannschaft sicherlich,
hoffentlich aber auch genug für den Klassenerhalt.
Zahlreiche Spieler haben ihren Zenit überschritten,
wenn der neue Trainer nicht das Optimale aus Spielern
wie Grammozis oder Paulo Sergio herausholen kann,
würde die Mission Klassenerhalt sicherlich
schwierig und ein Kaufrausch neben den ohnehin
noch unbedingt neu zu besetzenden Positionen - in
der Winterpause wäre programmiert.
Michael
Jaskolla
Bilder: Michael Gohl und Jawattdenn.de
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