12.08.2004 -
Auf den Spuren von Sascha Kirschstein
Geschichte wiederholt sich manchmal. Am Samstag hat Robert Wulnikowski die seines Vorgängers eingeholt.
5 Gegentore, bei einigen sah der neue Mann zwischen den Pfosten ganz und gar nicht gut aus. Gegen einen Gegner, der realistisch betrachtet nicht unbedingt zu den Mannschaften gehörte, die man ganz vorne in der Abschlusstabelle erwarten würde.
Man kann sich schönere erste Spiele vor heimischer Kulisse vorstellen.
Dachte sich wohl auch besagter Torhüter, denn nach dem Spiel soll er heulend in der Kabine gesessen haben, musste vom Trainer getröstet werden. Er hatte wirklich nicht seinen besten Tag erwischt.
Das war Sascha Kirschstein, der am 6.9.2002 bei der 4:5-Niederlage gegen den SC Verl zum zweiten Mal in einem Ligaspiel das Tor unserer aller Lieblingsmannschaft hüten durfte - oder eher musste...
Am Samstag durfte sich dann dessen Nachfolger Robert Wulnikowski zum ersten Mal in Essen probieren. Nach starker Vorbereitung (seine gute Frühform hatte er schon vor Millionenpublikum beim Leverkusener Jubiläumsturnier gegen Bayer und Dynamo Dresden bewiesen) wurde der Neueinkauf von Zweitliga-Absteiger Union Berlin in der Woche vor dem ersten Saisonspiel gegen Aue wenig überraschend von Jürgen Gelsdorf als neuer Stammkeeper vorgestellt.
Das Spiel lief wenig glücklich für den gebürtigen Polen, der schon als Kind ins Ruhrgebiet kam und erst später den Weg nach Berlin fand.
Schon nach ein paar Minuten zeigte er sich bei einem Auer Schuss wenig sicher, beförderte ihn gerade noch um den Pfosten. Was danach kam, dürfte den meisten Lesern bekannt sein.
Die Bilder gleichen sich irgendwie: Kirschstein und Wulnikowski, die gleich Fünffach-Bezwungenen, die ihren Abwehrreihen wenig Sicherheit verleihen und das ganze Spiel über mehr als nervös wirken.
Erstaunlicherweise schien sich in Essen kaum einer so Recht an das zweite Ligaspiel des nach Hamburg abgewanderten Kirschsteins zu erinnern, denn schon beim zweiten Gegentor ließ es sich ein größerer Teil der Zuschauer nicht nehmen, Wulnikowskis Ersatzmann Rene Renno lautstark zu fordern, der sein Können als Vertretung Kirschsteins in der Schlussphase der letzten Saison schon unter Beweis stellen konnte.
"Netterweise" ließen sich die Renno-Rufer bei
fortlaufender Spieldauer dazu herab, die für
den auf dem Platz stehenden Torhüter sicherlich
wenig motivierenden Forderungen nach Ersetzung des
selbigen zu unterlassen, dafür wurde nun jeder
noch so kleine Kontakt mit dem Spielgerät hämisch
beklatscht.
Die Frage ist nun, warum Sascha Kirschstein beim oder nach dem Spiel gegen Verl nicht mit derselben oder ähnlicher Häme entgegen getreten wurde.
Eine Antwort mag darin liegen, dass Kirschstein keinen freien Posten übernahm, sondern den schwach in die Saison gestarteten Marco Sejna aus der ersten Elf verdrängen konnte.
Sejna, zu Saisonbeginn aus Ahlen gekommen, hatte beim damaligen Coach Pless wohl vor allem aufgrund seiner Erfahrung einen Bonus, wegen dem er zu Saisonbeginn vor Kirschstein in der Gunst des Trainers stand.
Nach einigen schwächeren Leistungen wurde Sejna beim eigenen Anhang immer unbeliebter, letztlich schwand auch bei Pless das Vertrauen und er setzte auf seinen bisherigen Ersatzmann.
Aufgrund seiner nicht vorhandenen Popularität stand schon vor Kirsches erstem Spiel für die meisten Fans fest, dass der Verlierer des Duells Sejna vs. Kirschstein nur Sejna sein könnte, und so sollte es dann auch kommen. Noch während des Spiels bekam Kirschstein von den Rängen die Unterstützung, die wahrscheinlich auch Wulnikowski am Samstag gebraucht hätte.
Nun stellt sich die Situation bei Wulnikowski so dar, dass es keinen ungeliebten Vorgänger gibt, vielmehr ist er unter Umständen nach einem Spieltag schon selber der, der in den Köpfen vieler auf die Bank müsste.
Beim Verl-Spiel gab es außerdem eine unglaublich schlechte Leistung der rot-weißen Elf, die ein wenig von der Kirschsteins ablenkte. Gegen Aue war Rot-Weiß aber nicht so schwach, wie es das Ergebnis aussagt, und lange nicht so schwach wie beim Spiel gegen Verl.
Am Samstag war es allerdings so, dass die Schwache Leistung Wulnikowskis die Zuschauer ein wenig vom katastrophalem Spiel einiger Feldspieler ablenkte.
Ramazan Yildirim z.B., der in der letzten Saison als Allzweckwaffe auf beiden Flügeln, sowohl offensiv als auch defensiv, meistens zu überzeugen vermochte, spielte links in der Viererkette nicht weniger schlecht als Wulnikowski im Tor, Rufe nach Sidney, dem aus Osnabrück gekommenem Linksverteidiger, gab es allerdings nicht...
Yildirim sei jetzt nur als ein Beispiel genannt, auch vor dem Hintergrund, dass er sich nicht, wie die meisten anderen Akteure, in der 2. Halbzeit ein wenig rehabilitieren konnte.
Einem Sascha Kirschstein jedenfalls hätte man ein Spiel wie das von Wulnikowski gegen Aue glatt verziehen. Anderthalb Jahre lang hatte er sein Können eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Nicht weniger eindrucksvoll waren aber auch die Leistungen von Robert Wulnikowski in diesem Zeitraum, der sich erst einen Stammplatz eroberte und in der letzten Saison dann einer der wenigen war, die bei Union Berlin überzeugen konnten. Selbst mit der Katastrophen-Abwehr Unions aus der letzten Saison vor sich, konnte Wulnikowski konstant gute Leistungen zeigen und wurde von den Berlinern nur schweren Herzens freigegeben.
An der alten Försterei hätte man unserer Nummer 33 eine Leistung wie gegen Aue zum Saisonstart wohl nachgesehen.
Nun können die Essener Fans nicht viel dafür, dass sie größtenteils die Leistungen Wulnikowskis in den letzten 2 Zweitliga-Saisons nicht verfolgt haben, allerdings ist es auch nicht Robert Wulnikowskis Fehler, dass man ihn in Essen so Recht noch nicht kennt.
Die Torwart-Leistung gegen Aue war alles andere als gut, keine Frage. Einen großen Teil der Niederlage muss Robert Wulnikowski auf seine Kappe nehmen. Doch das heißt noch lange nicht, dass ihn die eigenen Zuschauer bei seinem ersten Spiel für den neuen Club demontieren, mit Hohn und Spott überschütten und den Ersatztorwart fordern müssen.
Es war klar, dass man sich in der 2. Bundesliga auch auf schwächere Leistungen einstellen müsste, das ergibt sich aus dem viel höherem Niveau. Allerdings ist es schade, dass Spieler, die ein schlechtes Spiel machen, direkt vollkommen niedergemacht werden.
Diese Spieler sind unser Faustpfand auf den Klassenerhalt, der mit verunsichertem Personal nicht zu schaffen sein wird. Aber nichts anderes als Verunsicherung bringt ein solches Fan-Verhalten in die Köpfe der einzelnen Spieler oder in die gesamte Mannschaft.
Wenn die schwachen Leistungen bestätigt werden, bleibt immer noch Zeit, Ersatz zu fordern.
Wir Fans sollten aber einige Spiele abwarten, denn jeder Spieler hat eine Chance verdient. Und die muss nicht zwangsläufig nur auf 90 Minuten begrenzt sein.
Viel Glück in Trier und für den Rest der Saison, Robert Wulnikowski!
P.S.:
Nicht, dass Marco Sejna hier ausschließlich schlecht wegkommt.
Inzwischen steht er seinerseits als Nachfolger von Robert Wulnikowski bei Union Berlin im Tor, belegt dort mit 4 Punkten derzeit Rang 3 in der Tabelle der Regio Nord und hatte, nachdem sich Sascha Kirschstein ausgerechnet im Rückspiel gegen Verl verletzte, die Möglichkeit genutzt, noch einige sehr solide Partien für Rot-Weiss zu absolvieren. (hh)
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