Vorbericht: 17. Spieltag | Rot-Weiss Essen - MSV Duisburg
Am Sonntag schaut der Boss im Himmel zu,
wenn im Revier-Derby Rot-Weiss Essen und der Meidericher
Spielverein aus Duisburg an Essens legendärer
Hafenstraße die sportlichen Klingen kreuzen.
Schließlich verbindet sich die deutsche Fußball-Legende
Helmut Rahn mit beiden Vereinen. Bei unseren Rot-Weissen
aus Essen erlebte er seine erfolgreichste Zeit, wurde
Deutscher Meister und Pokalsieger und im DFB-Dress
gar Weltmeister. Bei
den Blau-Weißen Zebras aus Duisburg spielte
der Boss die Premieren-Saison der Bundesliga und wurde
im reifen Fußball-Alter von fast 35 Jahren Deutscher
Vizemeister, wozu er immerhin 8 Treffer beisteuerte.
Weniger gern wird er hören, dass er auch der
erste Spieler in der Bundesligageschichte ist, der
mit einer Roten Karte des Feldes verwiesen wurde.
Doch von diesen guten alten und mythischen Zeiten
sind beide Vereine derzeit ein gutes Stück entfernt,
die Gäste aus Duisburg zugegebenermaßen
weniger weit als die gastgebenden Essener. Am letzten
Spieltag vor der Winterpause sind drei ausgesprochen
wichtige Punkte zu vergeben, welche unser Team benötigt,
um sich im knallharten Abstiegskampf weitere Hoffnung
zu verschaffen. Die Gäste aber wollen diametral
entgegengesetzt dazu ihre Aufstiegsaktien in die Höhe
treiben. Bei RWE fehlen Haeldermans, van Lent, Grammozis
und Michael Lorenz verletzungsbedingt. Duisburg muss
auf den rumänischen Mittelfeldspieler Tararache
verzichten. Dieser brachte es am letzten Spieltag
fertig, bereits zum dritten Mal in dieser Spielzeit
des Feldes verwiesen zu werden. Vielleicht jagt der
Neuzugang den vereinsinternen Sünderrekord von
Raubein Tomasz Haijto, einst rekordverdächtiger
Strafbankkönig von der Wedau.
Die Essener Leidensgeschichte dieser Spielzeit ist
bekannt, in den letzten beiden Partien gab es aber
unter dem neuen Übungsleiter Lorenz-Günther
Köstner 4 Zähler, wovon 3 erst in den Schlussminuten
gesichert wurden. Zuvor die neuralgische Phase der
Rot-Weissen. Damit konnte der Rückstand auf das
rettende Ufer immerhin auf 3 Zähler verringert
werden. Bei LGKs Amtsantritt betrug dieser noch
satte 5 Punkte. Um sich diese kleinen Erfolge aber
wirklich zu vergolden, muss in einem Kraftakt der
wahrlich dicke Brocken aus Duisburg am kommenden Sonntag
aus dem Weg geräumt werden.
Der MSV ist allerdings zumindest teilweise prächtig
in Schuss. So machten die Binnenhafenstädter
bei ihrem letzten Auswärtsauftritt den beim FC
Kölle als Messias gefeierten Christoph Daum zum
kleinlauten Däumling. Der in allen Belangen reifere
Tabellendritte verpasste
dem selbsternannten Toppfavoriten auf den Wiederaufstieg
eine Abreibung nach Maß und nahm beim 3:1 Erfolg
alle drei Zähler mit zurück an die Wedau.
Man darf also konstatieren, dass die Gäste zur
Avantgarde des Unterhauses zählt und sich vollkommen
berechtigte Hoffnungen auf die Rückkehr ins Oberhaus
machen darf. In der Vorwoche drückten die Essener
Fans dem sonntäglichen Kontrahenten fest die
Daumen, da diese zuhause gegen einen direkten Konkurrenten
unserer Rot-Weissen um den Klassenerhalt antraten.
Gegen den SC Paderborn gab es aber nur ein enttäuschendes
1:1. Es war das 8. Remis in dieser Saison für
den MSV, was Ligarekord darstellt. Überhaupt,
erst ein einziges Mal ging die Truppe von Rudi Bommer
als Verlierer vom Platz, umgekehrt sorgen aber auch
diese ganze Menge von Unentschieden dafür, dass
der Aufstiegsplatz noch nicht betongefestigt ist.
Derzeit haben die Duisburger bei 29 Punkten nur aufgrund
des Torverhältnisses die Nase gegenüber
Kaiserslautern vorn. Punkte haben die Zebras also
in Essen nicht zu verschenken.
Alles andere als eine leichte Aufgabe also, die unser
krisengeschüttelter Klub am Sonntag zu lösen
hat. Die RWE-Fans werden sich dieser Schwierigkeit
bewusst sein und dem sicherlich vollen Gästeblock
hoffentlich von der ersten Minute an klar machen,
wer im GMS die Hosen an hat. Neben einem starken Support
und einer eigenen starken Leistung hoffen die Rot-Weissen
aber auch auf himmlischen Beistand. Denn vergiss nicht
Boss, bei uns wurdest du zur Legende und sahst die
halbe Welt, beim MSV wurdest du nur Zweiter, sahst
den Hochofen und flogst vom Platz.
Ein kleiner Rückblick auf die Begegnungen
der Vergangenheit:
Essen gegen Duisburg ist ein Revier-Derby mit entsprechender
Geschichte und hoher Rivalität auf den Rängen.
Davon konnte sich der Autor dieser Zeilen mehrfach
persönlich überzeugen. Überliefert
sei da eine kleine Anekdote aus den späten 80er
Jahren. RWE war freitags abends zu Gast im Wedau-Stadion.
Die trügerische heimelige Flutlichtatmosphäre
wurde von den Duisburger Anhängern auf der Haupttribüne
dazu genutzt, den Essener Fanblock auf den Stehrängen
fortwährend mit Leuchtraketen zu beschießen.
Dass dabei nichts Schlimmeres passierte, war bereits
erstaunlich, noch sehr viel erstaunlicherer war allerdings,
dass sich die staatlichen Ordnungshüter dieses
Spielchen mit aller Gelassenheit anschauten und nicht
eingriffen. Heutzutage würde bereits das einfache
Zünden eines Bengalos mit Polizeieinsatz und
Stadionverbot geahndet. Andere Zeiten, andere Sitten.
Zu erwähnen ist dabei noch, dass der MSV das
Match mit 4:2 gewann und ein gewisser Michael Tönnies
dabei zwei Tore beisteuerte. Dieser war gebürtiger
Essener und in der Vorsaison vom damaligen Coach Horst
Hrubesch bei Rot-Weiss als zweitligauntauglich aussortiert
worden. In Duisburg sorgte er mit seinen Toren für
den Bundesligaaufstieg der Zebras und wurde in der
Eliteliga gar Torschützenkönig.
An
zwei der unzähligen Spiele der Essener gegen
den MSV sei an dieser Stelle besonders erinnert. Im
Spätherbst 1993 gastierten die Zebras zum Pokalachtelfinale
an der Hafenstraße. Das Match wurde unter der
Woche unter Flutlicht ausgetragen und zählt bis
heute zu den persönlichen Highlights des Autors.
Eine nahezu unvergleichliche Stimmung brandete 90
Minuten durch das bengalorot gefärbte GMS. Der
TV-Reporter bilanzierte später, keiner der gut
20.000 Besucher würde dieses Spiel so schnell
vergessen und es sei jeden Pfennig des Eintrittsgeldes
wert gewesen. Stimmt ganz genau. Ein einfach großartiger
Pokalabend.
RWE war unter Trainer Jürgen Röber in diesem
Jahr wieder in die zweite Liga aufgestiegen, die Duisburger
Gäste waren in der erfolgreichsten Epoche der
jüngeren Vereinsgeschichte sogar kurzfristig
Tabellenführer der ersten Liga und als solcher
zur Hafenstraße gekommen. Doch Zebratrainer
Zettel-Ewald Lienen musste bereits nach
gut zwei Minuten missmutig die ersten kritischen Notizen
tätigen. Bei einem Rückpass trat Gäste-Keeper
Jürgen Rollmann in den Boden, so dass die Kugel
bei Essens Harry Kügler landete, der das Leder
in aller Seelenruhe Richtung langes Eck der Duisburger
schob. Die Kulisse hielt den Atem an, aber als der
Ball sich entschied, vom Innenpfosten endlich ins
Gehäuse zu rollen, war der Jubel ohrenbetäubend.
RWE spielte die Duisburger getragen von einer frenetischen
Anhängerschaft in der Folgezeit schwindelig und
kam durch einen von Jörg Lipinski verwandelten
Foulelfmeter nach einer halben Stunde gar zum 2:0.
Zuvor war Daoda Bangoura nach Meinung des Referees
Thorsten Burghardt im Strafraum gelegt worden. So
ging es in die Kabinen. Der MSV hatte bis dato rein
gar nichts zu bestellen gehabt.
Fast noch mitreißender, weil noch dramatischer,
war dann die zweite Hälfte. Gespielt waren analog
zur ersten wiederum erst zwei Minuten, da lag die
Kugel erneut im Netz. Diesmal allerdings im Essener
Tor. Der Duisburger Kapitän Thorsten Wohlert
hatte aus der zweiten Reihe einen kapitalen Schuss
losgelassen, der Franki Kurth chancenlos zurückließ.
Alles wieder offen, Duisburg nun am Drücker.
Nach knapp einer Stunde überschlagen [historisches
Präsens, Anmerkung für die Korrektoren]
sich die Ereignisse. Zunächst besorgt [siehe
oben] Jürgen Margref das 3:1 für RWE, im
Gegenzug Vlado Papic den erneuten Anschlusstreffer
für die Zebras. Sowohl auf dem Spielfeld als
auch auf den Rängen entsteht nun ein offener
Schlagabtausch, der den Besuchern mehrfach die Gänsehaut
über den Rücken laufen lässt. In dieser
Phase hatte RWE erstmals an diesem Abend Glück,
denn jetzt boten sich Duisburg dicke Ausgleichsgelegenheiten,
die Essen dank eines famosen Frank Kurth allesamt
unbeschadet übersteht. Ein Wechselbad der Gefühle.
Aber dieses großartige Spiel hielt noch ein
passendes besonderes Ende parat. In der 85. Minute
brachte Jürgen Röber den verlorenen Sohn
Jürgen Kobra Wegmann ins Spiel. Der
Ruhrgebietsfußballphilosoph, einst aus Essens
Jugend hervorgegangen, war ausgerechnet in der Vorwoche
vom Gegner aus Duisburg zurück zur Hafenstraße
gekommen. Kaum im Spiel, biss die Kobra auch schon
zu. In der MSV-Drangphase liefen die Rot-Weissen einen
mustergültigen Konter, bei dem der an diesem
Abend bärenstarke Harry Kügler Jürgen
Wegmann die Kugel vors leere Tor legte, so dass der
Rest Formsache war. Eine nahezu filmreife Story! Also,
es stand 4:2 für Essen, aber kaum hatte sich
die frenetische Jubeltraube auf den Tribünen
gelöst, da bot sich den Duisburgern abermals
die Chance, ins Spiel zurück zu kehren. Denn
nun hieß es, Elfmeter für den MSV! Ferenc
Schmidt verwandelte sicher, aber Schiri Burghardt
pfiff den Schützen zurück. Im Übereifer
waren mehrere Zebra-Kicker schon während der
Ausführung in den 16er gelaufen. Irregulär,
also Wiederholung! Und so kam es, wie es kommen musste,
nun fischte Curtis die Kugel aus dem Eck! Das wars!
Ein fantastisches Spiel mit bombastischer Stimmung,
dessen Dramaturgie eigentlich nur durch das legendäre
4:4 gegen Bayer Leverkusen gut zwei Jahre später
getoppt werden konnte. Dieser Sieg war der Baustein
für
das Erreichen des Pokalfinales in Berlin und wird
auch deshalb unvergessen bleiben.
Mut für Sonntag schöpfen wir aber vor allem
aus dem Frühjahr 2005. Die Konstellation vor
der Zweitligabegegnung RWE:MSV war der aktuellen ausgesprochen
ähnlich. Essen stand mit dem Rücken zur
Abstiegswand, Duisburg wollte aufsteigen. Am Ende
siegte RWE durch einen Kopfball-Treffer von Sven Lintjens
mit 1:0. Dieses Resultat gab allerdings nicht die
Überlegenheit wieder, die die Rot-Weissen in
ihrem wahrscheinlich besten Saisonspiel an diesem
Sonntagnachmittag hatten. Am Ende der Saison, RWE
war leider dennoch abgestiegen und Duisburg dennoch
aufgestiegen, war man sich im Essener Lager einig.
Hätte man mehr solcher Leistungen abrufen können,
dann wäre es nie und nimmer zum Abstieg gekommen.
In diesem Sinne hoffen wir nun auf einen erneuten
Rot-Weissen Husarenstreich und ein dann besseres Saisonende.
Glück auf!
(sm)
Bilder: 2. Bundesliga 04/05 - Rot-Weiss Essen -
MSV Duisburg 1:0 - 13.02.2005 (jwd)
.
|