Spielbericht: 2. Bundesliga | MSV Duisburg - Rot-Weiss
Essen 3:0 (0:0)
Die Kontaktlinse gerettet, RWE nicht
..
An solchen Tagen zählen auch die ganz, ganz
kleinen Dinge. Als um 15:48 Uhr die SMS-Mitteilung
mit dem Inhalt Ende in Offenbach kam,
bahnte ich mir den Weg zur Beton-Wand des Essener
Fanblockes, um dort in die Knie sinkend und das Gesicht
in den Händen vergrabend unvermittelt einige
bittere Tränen zu vergießen. Die dabei
das Auge verlassende Kontaktlinse konnte ich Sekunden
später an den Fransen meines Fanschals wieder
entdecken und wieder ins Auge befördern. Ein
kleiner Erfolg, mehr blieb am Ende nicht.
Einige Meter weiter bekomme ich noch mit, dass auch
ein anderer Jawattdenn-Mitarbeiter nahe am Wasser
gebaut hat, ein weiterer, der mir in der HZ noch versicherte,
dass heute einmal wir feiern würden, war im Begriff
den prall und zeitweise bis zum bersten gefüllten
Fanblock zu verlassen. Es hat nicht sein sollen, Männer.
Doch der Reihe nach.
Eines war bereits vor dem Anpfiff von Schiedsrichter
Knut Kirchner, der eine tragende Rolle in dem folgenden
Drama spielen sollte, ganz sicher. Höchste Emotionalität
war garantiert. Beim Revier-Derby zwischen dem MSV
Duisburg und Rot-Weiss Essen ging es um Auf- und/oder
Abstieg. Im Fernduell mit gleich drei punktgleichen
Teams (Offenbach, Jena, Unterhaching) kämpfte
der Deutsche Meister von 1955 ums nackte Überleben.
Daher demonstrierten auch die Essener Supporter bereits
lange vor dem Anpfiff Einigkeit und Stärke, ganz
nach dem Vorbild ihres Teams in den letzten Wochen.
An der Duisburger S-Bahn-Station Schlenk sammelten
sich Tausende, die das Herz auf dem rechten Fleck
haben, und wanderten Schlachtgesänge trällernd
zum Zebrastall an der Wedau. Dort stimmte die Atmosphäre,
zumindest wenn man die Eingangskontrollen, bei der
die Menschenmassen durch zwei winzige Törchen
gequetscht wurden, gut hinter sich gebracht hatte.
Ausverkaufte Ränge, besonders die Essener Anhänger
gaben Stimmungs-Gas und beschallten die schmucke MSV-Arena
mit beachtlicher Phonstärke.
Das war wohl auch ein Mutmacher, denn RWE sah sich
sogleich wütenden Angriffen der Zebras ausgesetzt,
die einen Dreier brauchten, um sicher den Aufstiegszug
besteigen zu können. Vor allem über die
Flügel gelangten die Duisburger mehrfach in den
Rücken der Essener Abwehr, die jedoch immer noch
einen Kopf bzw. Fuß dazwischen brachte.
Nach vorne ging mal wieder kaum etwas bei RWE, Entlastungsangriffe
fanden kaum statt, Ballverluste folgten meist unmittelbar
nach Eroberung der Lederkugel. Freude bereitete daher
zunächst nur die frühe Führung
von Hansa Rostock gegen Unterhaching, übermittelt
um 14:07 Uhr.
Ein erster Warnschuss ist dann ein tückischer
Aufsetzer von Barbaros Barut, der Georg Koch Arbeit
bereitet. Kurz darauf gab es erstmals Grund für
Essen, sich über einen Pfiff von Herrn Kircher
zu erregen. Lorenzon eroberte im Mittelkreis das Leder
von Duisburgs fallsüchtiger Mittelfeld-Diva Grilic,
sein Pass erreichte den sehr frei stehenden Danko
Boskovic, doch Kircher wollte ein Foul an dem Zebra
erkannt haben. Fragwürdig, Teil 1.
Nach gut 25 Minuten hatte Essen das Tempo des MSV
erst mal gut verschleppt, beide Teams schienen sich
einzulullen, auch die Aktionen der Gastgeber wurden
zunehmend unpräziser und ungefährlich. Auch
auf den Rängen war es ruhig, Rostock führte
mittlerweile 2:1 gegen Haching gut für
uns -, Jena aber 1:0 in Augsburg schlecht für
uns. Offenbach war gegen Braunschweig noch kein Treffer
geglückt, Freiburg führte 1:0 gegen Koblenz.
Nach einer guten halben Stunde hielt Essen also hauchdünn
die Klasse, Duisburg zum Ärger der heimischen
Anhänger allerdings auch.
Dann auf einmal Turbulenzen, erst fischte Karim Zaza
einen Freistosskracher von Björn Schlicke aus
dem Eck, dann bot sich Solomon Okoronkwo die große
Chance zur rot-weissen Führung, sein überhasteter
Drehschuss aus aussichtsreicher Position landete aber
im Fangnetz hinter dem Tor von Georg Koch. Kurz vor
der Pause dann noch eine gute Szene des Nigerianers,
der dem fahrlässigen Philipescu den Ball auf
der eigenen Torauslinie abluchste, doch Schiri Kircher
wollte wiederum Foul gesehen haben, fragwürdig
Teil 2.
Dampf
ablassen und ab in die Pause. RWE nun 14., also noch
in Liga Zwei. Grund für vorsichtigen Optimismus.
Nach dem Wiederanpfiff sorgte eine ereignisreiche
Viertelstunde dafür, dass sehr bald nur noch
der Short-Message-Service über die Ereignisse
auf den anderen Plätzen interessierte.
Drei Minuten war die zweite Hälfte alt, da versetzte
der schiedsrichtende scheinbare Zebrafreund Kircher
den MSV in Jubelstimmung und alle bei RWE in fassungslose
Wut. Nach einer vollkommen unspektakulären Szene
am Essener Fünfmeterraum blies der Pfeifenmann
in sein Arbeitsinstrument und schritt maliziös
Richtung Elfmeterpunkt. Weder ein Duisburger Spieler
noch die direkt dahinter befindliche MSV-Kurve hatte
einen Pfiff gefordert, erst nach zwei Sekunden der
Verwirrung registrierte das weite Stadionrund die
Strafstoßentscheidung. Martin Hysky, der sich
hierbei auch noch Gelb abholte, soll Markus Kurth
regelwidrig geklammert haben. Die TV-Bilder zeigten
es aber eindeutig, Essens Innenverteidiger hatte schlichtweg
überhaupt rein gar nichts gemacht, Kurth war
aus ureigenen Stücken einfach zu Boden und Herr
Kircher ihm böse auf den Leim gegangen. Das war
nicht etwa fragwürdig Teil 3, das war einfach
nur skandalös, was sich der sogenannte Unparteiische
hier leistete, der zudem beste Sicht auf die Situation
hatte.
Duisburg war es natürlich egal, Tararache guckte
Karim Zaza aus und verwandelte zum 1:0 für die
Gastgeber. Dass der MSV auch noch anderswo als in
der Hintertorkurve Anhänger besaß, war
erst jetzt zu bemerken. Um 15:05 Uhr an diesem schwarzen
Sonntage hatte RWE in der Blitztabelle erstmals nicht
mehr das rettende Ufer unter sich.
Wilder Trotz bei den rot-weissen Supportern war die
Folge, die ihr Team nun noch vehementer als zuvor
nach vorne peitschten. Und tatsächlich, was folgte,
war die stärkste Phase der Abstiegsbedrohten.
Essen machte
Druck, erkämpfte Eckbälle und Freistösse,
einen davon, getreten von Ferhat Kiskanc, fischte
Koch in Klassemanier aus dem unteren Eck und prallte
dabei an den Pfosten. Nach kurzer Behandlung konnte
er weiter machen. In diese Drangphase hinein dann
aber die Vorentscheidung. Gleich drei Essener konnten
bei einem MSV-Konter Markus Daun nicht am Torschuss
hindern. Dieser erwischte Karim Zaza auf dem falschen
Fuß und Essen im unteren rechten Eck. Von nun
an war fast klar, Essen musste auf fremde Schützenhilfe
hoffen.
Diese meldete sich zart durch Augsburgs Ausgleich
gegen Jena, erhielt aber sogleich wieder einen Dämpfer
durch Offenbachs Führung gegen Braunschweig.
Köstner reagierte, brachte mit Wehlage, Calik
und Younga-Mouhani frische offensive Kräfte.
Was auf dem Rasen an der Wedau passierte, war Gift
für Essen und gut für Duisburg. Seit der
Niederlage in Paderborn, die lag 9 Wochen zurück,
war Rot-Weiss auf des Gegners Platz nicht mehr in
Rückstand geraten. Das bevorzugte Spiel aus einer
kompakten Deckung heraus, konnte nun nicht mehr greifen.
Während RWE alles nach vorne werfen musste, konnte
der MSV nun mit entsprechenden Räumen ausgestattet
im eigenen Stadion kontern.
Einen dieser Gegenstöße schloss Ivica Grilic
mit einem Sahnetreffer zur endgültigen Entscheidung
ab. Vom rechten Strafraumeck aus lupfte er die Lederkugel
fast ansatzlos über Karim Zaza hinweg ins lange
Eck. 0:3 aus Essener Sicht, aus die Maus. Und das,
obwohl RWE nicht aufsteckte und zumindest den Ehrentreffer
zigfach verdient gehabt hätte immer wieder
scheiterte man an Georg Koch, auf der anderen Seite
bewahrte Zaza Essen vor einer noch höheren Schlappe.
Es ist hypothetisch, aber ohne das lachhafte Elfmetergeschenk
für die Gastgeber hätte die Sache wohl ganz
anders ausgesehen. Was blieb, war nur noch das Hoffen
auf Augsburgs Siegtor gegen Jena oder eine Wende bei
Offenbach gegen Braunschweig. Um 15:32 Uhr wurde die
Katastrophe immer deutlicher: Jena erzielte in Augsburg
das 2:1 und ließ sich dieses Resultat nicht
mehr nehmen. Natürlich fand der Fußballgott
noch eine abschließende Finte, indem er Braunschweig
noch zum Ausgleich in Offenbach kommen ließ,
die Uhr zeigte 15:42 Uhr.
Mit dem Handy in der Hand tigere ich am Tribünenaufgang
auf und ab, als um 15:44 Uhr die nächste SMS
kommt, schicke ich zehntausend Stoßgebete zum
Himmel, wird das Wunder wahr? Die Mitteilung lautet,
Braunschweig vor, noch ein Tor! Danke,
du Scherzkeks! Welche SMS dann am Ende kommt, ist
eingangs schon erwähnt worden.
Wut, Enttäuschung, Verzweiflung dringen durch.
Immerhin fliegen anders als in Ahlen 2005 diesmal
keine Steine und wüste Beleidigungen Richtung
eigene Mannschaft. Dass gut 5.000 Essener unser Team
sogar noch mit positiven Sprechchören verabschieden,
nehme ich nur noch schemenhaft wahr. Vor meinem geistigen
Auge sehe ich, wie Katastrophen-Schiri Kircher seinen
Scheck auf der MSV-Geschäftsstelle oder alternativ
die Eigentumsurkunde eines schicken Fertighäuschens
von Hellmich-Bau abholt.
Lausige 36 Punkte hätten zum Klassenerhalt gereicht,
RWE hat am Ende 35 und unfassbar viele Punkte in den
Schlussminuten, ja Sekunden, verschenkt.
Am Ende klingt noch ein Song durch: Mamor, Stein
und Eisen bricht, aber Rot-Weiss Essen nicht!
Genau so ist es!!! Auch die Phosphate der Bratwurst
in Verl werden uns letztlich nicht kaputt kriegen.
(sm)
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